Liebes Christkind, ich weiß nicht, was ich mir wünschen soll. Ich habe ein Handy, einen Fernseher, einen Computer, viele Spiele, ganz viele Klamotten, einen Schlitten und Ski, ein Fahrrad, einen iPod und ... mein Zimmer ist vollgestopft mit lauter Sachen. Ich wünsche mir diesmal etwas ganz anderes. Ich weiß aber nicht so genau, wie ich das erklären soll. Also, ich versuche es jetzt einmal: Ich möchte auf etwas stolz sein können. Stolz sein auf etwas, das ich ganz alleine mache, ohne daß mir jemand dabei hilft. Zum Beispiel zu Fuß zur Schule gehen. Oder mit dem Fahrrad zur Edith fahren. Liebes Christkind, sag meiner Mama, sie soll das Auto in der Garage stehenlassen. Sie schimpft sowieso immer über den Stress, der durch die blöde Fahrerei entsteht, wie sie selber sagt. Und dann möchte ich gern einen Tag in der Woche frei haben. Das klingt komisch, nicht wahr? Weil meine Mama sagt, das ist „Freizeit". Ich möchte aber meine „Freizeit" selbst gestalten. Da soll sich niemand reinmischen. Ich glaube, ich bin alt genug, um zu bestimmen, was ich machen will. Bei uns im Flur klebt ein Stundenplan, wo draufsteht, daß ich am Montag Klavierunterricht, am Dienstag Bastelrunde, am Mittwoch Ballett, am Donnerstag Gymnastik, am Freitag Nachhilfe habe. Und am Wochenende muß die Familie gemeinsam was unternehmen, sagt Papa. Damit wir eine gute Familie sind. Also auch da ist nichts mit selbständiger Freizeit. Liebes Christkind, soll ich Dir verraten, wie ich mich fühle? Aber lach bitte nicht: wie ein Stück Holz! Ich werde täglich mehrmals ins Auto verfrachtet, festgeschnallt und in der Gegend rumgefahren. Meine Mutter sitzt am Steuer und schimpft auf die Autos, die ihr den Weg verstopfen und auf das Benzin, das immer teuerer wird und auf die vielen Termine. Und daß ich dankbar sein soll, weil sie für das zweite Auto arbeitet, mit dem sie mich jetzt herumfährt. Und weiters sagt sie, so gut wie mir ginge es keinem anderen Kind, und daß sie alles für mich tut. Weil ich wohl nicht dankbar genug bin, herrscht manchmal dicke Luft, und ich fühle mich mies. Es wäre mir lieber, Mama würde nicht alles für mich tun, sondern mehr für sich selbst. Dann hätte auch ich eine Chance, etwas für mich selbst zu tun. Verstehst Du das? Natürlich ist es bequem, gefahren zu werden, besonders wenn es kalt ist und regnet. Aber ich merke immer mehr, wie mich das runterzieht und alle in der Familie unzufrieden werden. Ich wünsche mir einen Zipfel eigenes Leben. Wenn Mama mich allein die Wege machen ließe, wäre das ja schon einmal ein Anfang. Ich hätte dann ein klein wenig das Gefühl, aus eigener Kraft etwas zu leisten und zur Gesellschaft der Großen zu gehören. Warum geht das eigentlich nicht? Das war doch früher nicht so, das weiß ich aus den Büchern, die ich gelesen habe. Jetzt weißt Du, liebes Christkind, was ich mir für diese Weihnachten wünsche. Wahrscheinlich kannst Du mit diesem Wunsch gar nichts anfangen, weil man ein solches Geschenk nicht verpacken und unter den Baum stellen kann. Maike S. |