Effektiver Frontalunterricht
Vor ein paar Tagen entdeckte ich im Internet folgende Meldung: »Eine bislang im deutschsprachigen Raum kaum bekannt gewordene Unterrichtsstudie der »Hebrew University of Jerusalem« aus dem Jahr 2011 kommt zu dem Schluss, dass Schüler durch zwei Unterrichtsverfahren besonders gefördert werden: Zum einen haben Schüler vor allem Nutzen von der eher als »traditionell«, eventuell sogar als »altmodisch« geltenden Unterrichtsmethode. Das ist die Methode, bei der Lehrer viel Wert auf Verstehen, Wiederholung und Übung legen. Hier kommt hinzu, dass diese Methode gerade Schülern mit einem sogenannten bildungsfernen Hintergrund viel hilft. Zum anderen schneiden Schüler dann bei Prüfungen bzw. Tests gut ab, wenn der Unterricht das analytische und kritische Denken fördert. Demgegenüber fanden die Unterrichtsforscher um Professor Victor Lavy keine Belege dafür, dass die Schüler durch selbstständiges Lernen, zum Beispiel in Gruppen, überdurchschnittliche Lerngewinne hätten. ...« (Quelle) Das Handelsblatt stieß neulich ins selbe Horn und titelte: Frontalunterricht ist besser als sein Ruf. (Quelle) Einmal hü, einmal hott? Das hat gerade noch gefehlt, werden Sie jetzt denken. Die viele Mühe, die man darauf verwendet hat, den Schülern möglichst differenziertes Selbstlernmatierial zur Verfügung zu stellen: das geduldige Zusammentragen von Arbeitsblättern, das Aufbereiten für die Selbstkontrolle, das Kopieren, Schnippeln, Kleben, Ordnen und Organisieren! Und wieviel Geld es gekostet hat, die Lernstationen mit motivierendem Material auszustatten! Dabei quält uns schon längst ein seltsames Bauchgefühl. Wir lassen es nur nicht hinaufsteigen in den Kopf, denn das hieße, diesem Gefühl Worte zu geben — etwa diese: Das Erlernen der Kulturtechniken ist ein sozialer, kein isolierter Prozeß. Kulturtechniken sind das Fundament, auf dem Arbeitsteilung, Wohlstand und Frieden gedeihen. Kulturtechniken werden nicht vererbt, jede nachwachsende Generation muß sie lernen und einüben. Der Lehrer unterrichtete, war Quelle des Neuen, zeigte, korrigierte, war kompetent. Heute sollen Kinder ohne Lehrer selbst entdecken, was gelernt werden soll. Welch ein Irrweg! Alles grundlegende Lernen geschieht am Vorbild und ist Nachahmen. Das Kind ahmt Menschen nach, die es bewundert. Ein wenig hat das auch mit Liebe zu tun. Das psychologische Phänomen der positiven Übertragung kommt hier ins Spiel. Ohne Übertragung kann Lernen nicht stattfinden, ohne Übertragung bleibt das soziale Miteinander eine unverbindliche und zeitlich begrenzte Angelegenheit. Wir sollten umdenken. Die mit Papier und Schaubildern vollgestopfte Klassenzimmerecke motiviert den Schülern nicht per se schon zum Lernen. Auch Bildschirme verleiten nicht zum ernsthaften und beharrlichen Lernen. Wer das glaubt, ist hoffnungsloser Romantiker. Die EDV ist zum Spielen da, nicht zum Lernen! Ein wenig Selbstbeobachtung verhilft auch hier zu heilsamer Nüchternheit. Die Wiederentdeckung des Lehrers Das »entdeckende Lernen« ist mühsam, die Ergebnisse sind dürftig. Es hängt von der Person des Lehrers ab, welche Lernfortschritte Schüler machen. Hinrich Lühmann ist Wissenschaftler und leidenschaftlicher Pädagoge. 17 Jahre lang leitete er das Humboldt-Gymnasium in Berlin-Tegel. Er schreibt: »Es gibt Lehrer, die machen einfach alles falsch, sie dozieren Stunde um Stunde, dass es einen graust — dennoch: die Schüler hängen an ihren Lippen, und nachweisbar ist: sie lernen. Und umgekehrt: Es gibt Lehrer, die machen im Geist der neuen Schule alles richtig: stühleschurrend finden sich ihre Schüler in kompliziert konstruierten Expertengruppen, bilden Außen- und Innenkreise, malen ein Plakat nach dem anderen, es powerpointet, dass die Augen tränen, aber nachweisbar ist: sie lernen nichts. Anscheinend ist es so, dass Lehre weniger der Methode als des Menschen bedarf, der das Wissen mit Ernst verkörpert und einfordert.« In einem früheren Katalog des Stolz Verlags erschien ein Beitrag zum Thema »Blickkontakt«. (Siehe auch da>>>) Die Augen fungieren als unverzichtbare Brücke zwischen den Menschen. Das blicklose Nebeneinander im modernen Unterricht isoliert Kinder und Lehrer. Es kann kränken, verängstigen, Gefühle der Verlorenheit erzeugen. Vielleicht ist Frontalunterricht auch deshalb so erfolgreich, weil auf diese Weise immer alle Schüler die Möglichkeit haben, in das Gesicht und die Augen des Lehrers zu blicken. Die Kinder werden angeschaut, streng, liebevoll, tadelnd, auffordernd — doch immer mit einer affektiven Botschaft. Und die lautet: Ich sehe dich. Du bist da. Ich nehme Dich wahr. Du gehörst dazu. Wie oft schon hat ein freundlicher, ein aufmunternder, ein mitfühlender Blick Trost gespendet — wem wäre das nicht aus eigenem Erleben in Erinnerung? Je jünger die Schulkinder sind, desto mehr benötigen sie einen Lehrer, für den sie lernen dürfen. Grundschulkinder vergöttern oftmals ihre Lehrer. Solche Kinder gehen gern zur Schule! Hier tut sich ein Potential auf, das viel zu wenig beachtet wird! Und diese positive Stimmung ist womöglich das stärkste aller Argumente für die Praxis des Frontalunterrichts, der alle ein- und niemanden ausschließt. Nebenbei bemerkt: welch enormer Zeitaufwand entfiele, wenn der Lehrer darauf verzichten könnte, für seinen individualisierenden Unterricht Fluten von Material zu sammeln und dieses aufzubereiten! Aufwand und Ergebnis stehen wahrlich in keinem Verhältnis ... Karin Pfeiffer |