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Das Ohr beim Lesen und Schreiben

 
08. August 2012
Das Ohr beim Lesen und Schreiben
Kategorie: Besser lernen
  
 

Wir hören, was wir schreiben

Kürzlich habe ich ein Buch gelesen, welches mich sehr beeindruckt hat. Der Autor, ein Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde (1), behandelt darin die Rolle des Ohres beim Schreibenlernen. Lesen und Schreiben über die Ohren? Wer den Lesevorgang an sich selbst aufmerksam beobachtet, wird dies bestätigt finden: man »hört« die Wörter. Es kommt deshalb beim Lesenlernen darauf an, jeden Buchstaben dem richtigen Laut zuzuordnen. Später werden Silben und Wörter mit komplexen Lautfolgen verknüpft. Grafische Zeichen gehen mit den akustischen Zeichen eine feste Verbindung ein.
Lesefertigkeit stellt sich nicht von heute auf morgen ein. Viel Übung ist nötig, bis das Lesen automatisch abläuft. Noch bis vor zwei Generationen war es üblich, beim Lernen auf Gedichte und Lieder zuzugreifen. Das laute Lesen wurde gepflegt — es ist buchstäblich »der Königsweg zum Verstehen« (Alfred Tomatis). Der rhythmische Klang eröffnet den ganzkörperlichen, gefühlsbetonten Zugang zur Sprache: Schrift ist viel mehr als eine bloße Sammlung gedruckter Zeichen.

Der Erstklasslehrer trägt große Verantwortung, denn die Wahl seiner Unterrichtsmethode stellt Weichen. Erste Schreibgewohnheiten bilden sich bei den Kindern und können, falls sie sich als nachteilig erweisen, später nur noch mit Mühe korrigiert werden. Zu Beginn eingeübte Fehler bleiben unter Umständen lebenslang dominierend, dies ist sowohl ein Erfahrungswert wie auch durch die neue Hirnforschung (vgl. Manfred Spitzer) belegt. Während ich diese Zeilen formuliere, erregt eine Studie die Gemüter: Studenten haben massive Probleme bei Rechtschreibung, Grammatik, Syntax und – beim Lesen! Die Ergebnisse sind laut Professor Gerhard Wolf (2) derart „bestürzend", dass man gezögert habe, damit an die Öffentlichkeit zu gehen.

Es ist an der Zeit, mit Tabus zu brechen. Ein solches Tabu ist die Anlauttabelle und die populäre Annahme, jedes Kind könne sich damit selbständig Lesen und Schreiben beibringen. Diese Unterrichtspraxis gehört auf den Prüfstand. Gut ist nur das, was sich in der Praxis bewährt. Werkzeuge, die sich als untauglich erweisen, soll man ohne Zögern wegwerfen.

Karin Pfeiffer

 
   
 

(1) Alfred Tomatis. Das Ohr - die Pforte zum Schulerfolg.
Schach dem Schulversagen. Verlag modernes Lernen, Dortmund 1998

(2) Deutschlandradio vom 23.7.2012
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/1818985/

 
   
 

 



Kommentare zu diesem Beitrag:
von pfiffikus (01. August 2012, 00:30):
Die Ergebnisse dieser Umfrage unter deutschen Professoren sind in dem Lehrerportal 4teachers zur Diskussion gestellt worden. Unter www.4teachers.de können Sie die Seite aufrufen. Dann klicken Sie auf Forenbereiche. Noch steht das Thema "Jungstudenten haben RS-Probleme" an erster Stelle.
Viele Reaktionen in diesem Lehrerforum lassen nicht darauf schließen, dass mit "Tabus" gebrochen wird. Ja, mir kommt es so vor, als ob keinerlei Bereitschaft besteht, über das eigene Handeln einmal selbstkritisch nachzudenken. Die User führen viele Erklärungen für die unzureichenden Deutschkompetenzen der Studenten an, die moderen Methoden gehören jedoch nicht dazu. Schulbuchverlag profitieren von dieser Entwicklung. So gibt es jetzt die ersten Handreichungen zu der Grund"schrift". oder
 
von Uwe (14. September 2012, 12:05):
Ich habe im vergangenen Semester erstmals Projektarbeiten von Studenten bewertet. Die Probleme mit der deutschen Sprache, die ich bisher nur vom Hörensagen und aus der Presse kannte, muß ich nun bestätigen. Mir wurden Arbeiten vorgelegt, die aufgrund ihrer schlechten Grammatik und Rechtschreibung unglaublich schwer zu lesen waren. Für einzelne Verschreiber habe ich Verständnis - auch wenn das im Zeitalter der automatischen Rechtschreibkontrolle nicht mehr passieren dürfte. Konsequente Falschschreibungen, konsequentes Anwenden schwer lesbarer Konstrukte, teilweise fehlende oder völlig ungeeignete Zeichensetzung gehören aber - von wenigen Ausnahmen abgesehen - tatsächlich zur Tagesordnung. Die Studenten erwarten dann dennoch allen Ernstes eine Note mit einer Eins vor dem Komma, wohingegen ich der Meinung bin, daß ein Mensch mit solchen Defiziten keinen akademischen Abschluß bekommen darf. Grundvoraussetzung für das Studium an einer Hochschule muß der problemlose Umgang mit der dort verwendeten Sprache sein.
 
von Uwe (14. September 2012, 12:10):
Gerade kommt mir noch ein schönes Beispiel unter die Augen, das einen Hinweis auf mögliche Ursachen enthält:

"Die vergleichsweiße konstante Menge an eingehenden Suchanfragen weißen auf einen regulären Gebrauch der Nummer hin."
 



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