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Wiederkennen, anerkennen

 
12. März 2010
Wiederkennen, anerkennen
Kategorie: Erziehung

Rituale und Wiederholungen in der Pädagogik
(Teil I)
von Karin Pfeiffer

Wiedersehen macht Freude, sagt der Volksmund. Wir beobachten an uns selbst, wie bloßes Wiedererkennen von gewissen Daseinsmustern Ordnung ins Chaos widerstreitender Wahrnehmungen bringt. Das beruhigt, denn nun scheint vorhersehbar, was passieren wird. Wiedererkennen von Verhaltensmustern ist in der Pädagogik von herausragender Bedeutung, die selten genug Würdigung erfährt. Ein geordneter Tagesablauf, die Wiederkehr gewisser Rituale, die verläßliche Anwesenheit der vertrauten Erwachsenen — all das trägt zur Beruhigung der Kinderseele bei, es schafft einen begrenzten Raum, in dem sie sich gefahrlos entfalten kann. Entfalten und geistig wachsen heißt, von gesichertem Terrain allmählich und schrittweise in Neuland vorzustoßen. Neuland ängstigt, und zuviel davon macht starr und bewegungslos. Immer muß das Wiedererkennen von vertrauten Mustern den größten Teil des Erlebens ausfüllen.

Da mögen wir Erwachsene uns davonstehlen wollen aus der Verantwortung — jedoch vergeblich. Wir bleiben es, die den Rahmen für die Entwicklung unserer Kinder setzen. Auch der Verzicht auf Erziehung ist Erziehung — es ist eine Erziehung ohne Anerkenntnis der Bedürfnisse des Kindes nach Begrenzung des Raumes und nach Wiedererkennen. Lernen findet im ständigen Pendeln zwischen Wiedererkennen und Neuentdecken statt. Die blind-taube Helen Keller konnte erst dann mit dem Lernen beginnen, als eine mutige und konsequente Erzieherin den unendlichen Raum des dunklen, stillen Nichts durch wiederkehrende Sinnesreize begrenzte und damit erfahrbar machte. Da Augen und Ohren als Rezeptoren ausfielen, blieb nur der Körper. Helen erfuhr nun mit ihrem Körper die Begrenzung: sie wurde festgehalten und wieder losgelassen, und diese Einwirkungen folgten einem Muster von höchster Vorhersagbarkeit: Helen erkannte Gleiches wieder. Erinnerung setzte ein. Die Erinnerung bildet die Basis für alles planende, vernunftbetonte Handeln. Es ist ein Wiedererkennen von Bekanntem in der Gegenwart — das Bekannte hat in der Vergangenheit stattgefunden. In der Beziehung der Menschen untereinander wird aus Wiedererkennen das Anerkennen. Wie wesentlich das anerkennende und freundliche Miteinander für Erziehung und gesunde Entwicklung ist, erfassen die meisten Eltern und Pädagogen intuitiv. Leider wird das »unbewußte« Wissen maßgeblich durch Einflüsse von pseudowissenschaftlichen Dogmen gestört.

(Teil II siehe hier)

 
 



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