foto: pixelio »Augen-Blicke« An einem dieser schönen Herbsttage radelte ich, heiter wie der Himmel, in die Stadt. Unterwegs kam mir eine junge Frau entgegen. Sie schob einen Kinderwagen. Noch jetzt sehe ich ihr Gesicht vor mir. Was nun ist an einer kinderwagenschiebenden Mutter derart beeindruckend, daß ich davon berichten muß? Es war die sichtbare und vollkommene Hingewandtheit zum Kinde. Lächelnd schaute die Frau in das rollende Bettchen hinein, sie spitzte die Lippen und formten zärtliche Worte. Und noch einmal die Frage: was könnte an diesem Anblick so Besonderes sein? Ansehen und angesehen sein Menschen pflegen einander anzuschauen. Wen oder was wir besonders gern mögen, schauen wir öfter an. Wir suchen den Blick von Personen, die wir lieben. Wer besondere Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt, gilt als „angesehen". Der ranghöchste Schüler in der Klasse vereint die meisten Blicke auf seine Person. Wer oft angeblickt wird, besitzt „Ansehen". Augenkontakt vermittelt Sicherheit. Kurze Momente der Orientierungslosigkeit werden überbrückt durch einen Blick zum anderen. Schaut dieser mit Sympathie zurück, vermittelt dies Halt und Sicherheit. Wichtiger Blickkontakt Und nun komme ich wieder zur Mutter, die den Kinderwagen schiebt. Während sie dies tut, hat sie, fern des hektischen Tagesbetriebes, die Muße, sich dem Kinde zu widmen. Endlich kann sie es in aller Ruhe betrachten, über die Augen kommunizieren, mit ihm sprechen oder ihm etwas vorsingen. Dürfen wir solches Tun als altmodisch belächeln? Hat jener, dem dies als entrückt erscheint, nicht bereits den Kontakt mit sich selbst verloren? Glaubt er etwa modernen, mechanistischen Erziehungslehren mehr als dem eigenen Gefühl? Gefühle trügen selten. Die Voraussetzungen müssen stimmen Blickkontakt kann die Mutter mit dem Kinde nur dann haben, wenn sich die Bauweise des Kinderwagens an diesem Bedürfnis orientiert. Die Konstrukteure der modernen Kinderwagen jedoch nehmen keine Rücksicht mehr auf die emotionalen Grundbedürfnisse von Kind und Mutter. Die „verkehrte Schieberichtung" gilt als veraltet, soll sich doch bereits dem Säugling die optische Fülle der ganzen Welt frontal und ungefiltert darbieten. Die Mütter dieser pädagogisch „wertvollen" Kinderwagen schauen von hinten auf ein graues, grünes oder gemustertes Stoffdach. Mit Stoffdächern kann man nicht kommunizieren. Sie anzulächeln oder mit ihnen gar sprechen zu wollen, ist zwar grundsätzlich möglich, aber doch ziemlich fruchtlos. Das Kind unter dem Dach ist dem sicherheitsspendenden Blick, dem Lächeln und der ganzen Fülle der mütterlichen Mimik erfolgreich entzogen. Die Mutter wiederum weiß nicht, ob das Kind schläft oder wach ist, oder ob sich gar ein Insekt sich unter das Dach verirrt haben könnte. Um dies alles festzustellen, muß sie anhalten und um den Kinderwagen herumgehen. foto: pixelio Halt geben durch den Blick Über das Auge erfahren wir die Welt wie über kein anderes unserer Sinnesorgane. Der Blick zwischen den Menschen ist die Brücke vom Ich zum Du. Wen man nicht mag, den schaut man auch nicht an. Der Blick der Mutter erst ist es, der dem Kinde Halt gibt und es ermutigt, sich angstfrei auf die verwirrende Vielfalt des Unbekannten einzulassen. Die ungefilterte Schau der Welt bringt dem Kinde keinen Lerngewinn, denn die Welt spiegelt sich anfangs allein im Blick der Mutter. Weshalb reißen wir die Brücke des Blickkontakts willkürlich ab? In der modernen Schule ist auch der Lehrer aus dem visuellen Zentrum „entfernt worden". Sitzpositionen sind nicht mehr auf seine Person ausgerichtet, Schüler können seinen Blick nur noch dann erhaschen, wenn sie ihre Körper mühsam verrenken und die Köpfe verdrehen - so wie das Kleinkind im „fortschrittlichen" Kinderwagen es machen muß, will es seine Mutter sehen. Woher kommt der Wunsch, die Verbindung „von Angesicht zu Angesicht" zu unterbrechen? Lieben wir unsere Kinder nicht mehr? Was wir alle brauchen ... Diktatoren verbergen ihre Augen unter Schirmmützen. Sie wissen: fehlender visueller Kontakt verursacht Unsicherheit und Angst: der Diktator sieht, der andere ist „blind". Augen als Spiegel der Seele: Liebende sehen die Welt durch die Augen des jeweils anderen. Mütter, die ihren Kindern den eigenen Blick versagen - Lehrer, die sich dem Zentrum des „Ansehens" verweigern: ahnen sie wirklich nicht, was sie damit anrichten? Nicht nur Kinder brauchen den Blick, der liebevoll auf sie gerichtet ist. Wir alle benötigen ihn, heute mehr denn je. Karin Pfeiffer |
Hier ist noch einmal die aktuelle Meldung, die heute auch über den österreichischen Rundfunk verbreitet wurde: Laut Studie Blickkontakt zum Baby im Kinderwagen wichtig Blickt das Kind von den Eltern weg bedeutet das enormen Stress für den Nachwuchs. © APA Im Kinderwagen sitzender Nachwuchs sollte nach Erkenntnissen von britischen Wissenschaftern stets Blickkontakt zu den Eltern haben. Würden die Kinder mit dem Rücken zu ihren Eltern platziert, setze sie dies einem hohen Stress aus und sie drohten »emotional zu verkümmern«, heißt es in einer am Freitag veröffentlichten Studie von Forschern der Dundee Universität in Schottland. Der Blickkontakt zu den Eltern gibt den Kleinkindern demnach Sicherheit und beruhigt sie.
Aus gestressten Babys werden ängstliche Erwachsene »Die Neurowissenschaft hat uns geholfen zu erkennen, wie wichtig soziale Interaktion in den ersten Lebensjahren für die Entwicklung des Gehirns ist«, sagte die britische Psychologin Suzanne Zeedyk. Für viele falsch positionierte Babys und Kleinkinder werde die Fahrt im Kinderwagen jedoch zu purem Stress und einer einsamen Erfahrung. »Gestresste Babys werden zu ängstlichen Erwachsenen«, fuhr Zeedyk fort. Von den Eltern, die ihrem Kleinkind unterwegs ins Gesicht schauen, sprechen laut der Studie 25 Prozent regelmäßig mit ihm. Blickt das Kind hingegen von den Eltern weg, ist der Prozentsatz demnach nicht einmal halb so hoch. Auch die Herzfrequenz bei Kindern, die den Schieber ihres Wagens sehen, ist in der Regel niedriger und die Kinder schlafen schneller ein, wie die Untersuchung von knapp 3.000 Eltern-Kind-Paaren ergab. Quelle: oe24.at, 22.11.2008 |