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»Kleiner Hund wartet an Info B auf das Herrli«

 
25. November 2007
»Kleiner Hund wartet an Info B auf das Herrli«
Kategorie: Besinnliches

Ans Tischbein gebunden
Interpädagogika Salzburg, Messehalle 6. Es ist 17.30 Uhr. Wenn eine Messeveranstaltung zu Ende ist, verschwindet die künstliche Welt aus funkelnden und bunten Präsentations- und Verkaufsständen in einem schier atemberaubenden Tempo. Bereits eine halben Stunde nach Torschluß erinnert nichts mehr an Farbenpracht und Lichtspiele: ein anschwellendes Wirrnis an Kabeln, Containern, Werkzeug, Papiermüll und nackten Standwänden wird akustisch untermalt durch den beträchtlichen Arbeitslärm, den das Abbrechen der Aufbauten verursacht: eine künstlich geschaffene Ordnung löst sich auf.
Wo räumliche Systematik fehlt, verliert man leicht die Orientierung, besonders wenn dieser »man« ein kleiner Hund ist. Mitten im fleißigen Abbau unseres Messestandes riß uns die Lautsprecherdurchsage aus der Arbeit: »Ein kleiner Hund mit einer Halleiner Marke hat sich verlaufen. Er wartet an Info B auf das Herrli!« Unser Messehündchen Cherry!

Nachdem ich das verstörte Tier am Fundplatz abgeholt hatte, band ich es an einem Tischbein fest; zum eigenem Schutz der Freiheit beraubt, dennoch zu seinem großem Mißvergnügen.

Und hier, geschätzter Leser, drängen sich Parallelen auf zur Welt unserer Kinder. Seit diese von der Welt der Erwachsenen getrennt ist — was als sozialer Fortschritt gefeiert wird — verlieren die Kinder in der Arbeits- und Lebenswelt ihrer Eltern zunehmend die Orientierung. Sie werden dort nicht gebraucht, ja, sie gelten als Störfaktor; und ohne ständige Aufsicht sind sie an Leib und Leben gefährdet.

Beaufsichtigung unserer Kinder in Institutionen
Aus diesem Grund etablierten sich in den letzten Jahrhunderten staatliche Institutionen, deren einzige Aufgabe darin besteht, die Welt der Erwachsenen von Kindern »freizuhalten«. Daß mit der professionellen Kinderpflege sozialabgabenpflichtige Arbeitsplätze geschaffen worden sind, soll nicht unerwähnt bleiben, weil dies die Diskussion unterschwellig stärker beeinflußt als wir meinen. Alle diesbezüglichen Fragen werden stets im Hinblick auf wirtschaftliche Belange entschieden, wo es jedoch allein um das Wohl der Kinder gehen sollte.

Zu Hause, im natürlich entstandenen Ordnungsrahmen, weiß sich ein Kind selbstverständlich, frei und sicher zu bewegen. Völlig anders als im vertrauten familiären Umfeld hat es sich in der Institution als eines unter vielen Artgenossen einer Vielzahl von künstlichen Ordnungsregeln zu fügen, welche Spontaneität, Bewegungsradius und Entscheidungsspielraum deutlich beschneiden. Kinder werden zwar nicht, wie mein kleines Hündchen, mittels Leine am Tischbein festgebunden, doch auch von ihnen verlangt man, daß sie sich nicht vom Ort des gemeinsamen Aufenthalts entfernen.
Während also Mutter und Vater irgendwo draußen in der anonymen Welt einer unbegreiflich »seltsamen« Arbeit nachgehen, bekommt das Kind einen eigenen Platz außerhalb der Wohnung zugewiesen, von dem es sich nicht eigenmächtig entfernen darf: es könnte sich verlaufen, ihm könnte etwas zustoßen, und das kann niemand wollen.

Abgeschoben, niemandem nützlich?
Welche Schlüsse ziehen bereits Kinder, die sich in dieser Lage befinden, und sei es nur als vages Gefühl, das noch keine Worte kennt? Vielleicht den: »Meine Eltern brauchen mich nicht.« Oder den: »Ich bekomme in der Welt keine wirklich wichtigen Aufgaben.« Oder aber diesen: »Ich bin meinen Eltern egal. Sie lieben mich nicht.« ...

Ist uns klar, wie viele Kinder unter diesen Umständen wohl entsetzlich leiden mögen, auch wenn man ihnen das nicht ansieht? Sie sind wohlgekleidet, wohlgenährt und mit viel Spielzeug versorgt, neuerdings hauptsächlich elektronischem. Wer aber ist schuld an diesem Mißstand? Die Antwort darauf ist erschreckend: niemand! Es hat sich all das mit der Zeit so entwickelt. Wir gehen Gewohnheiten nach, deren Sinn und Nutzen kaum hinterfragt werden. Wir alle, mich selbst eingeschlossen, machen uns zu wenig Gedanken darüber. Generationen- und lebenslang gepflegte Rituale verstellen den Blick, wir können uns nicht kritisch mit unseren Realitäten auseinandersetzen. »Das haben wir schon immer gemacht.« — »Das war immer so!« — »Das hat noch keinem geschadet.« — »Das ist halt so.« und so weiter.

Die Arbeitsteilung bringt Wohlstand, hat aber Nachteile
Natürlich können arbeitende Eltern ihre Kinder nicht einfach mitnehmen ins Architekturbüro, an die Supermarktkasse, zur Akkordarbeit in der industriellen Fertigungshalle, an den Sparkassenschalter oder in das Vorzimmer des Zahnarztes. Selbstverständlich dürfen wir Kinder nicht einfach in der Stadt und auf den Straßen herumstreunen lassen, während deren Eltern arbeiten. Also teilen sie das Schicksal meines Hündchens, welches für die Zeit der sich auflösenden Ordnung in der Messehalle zum eigenen Schutze in Quarantäne genommen wurde. Betrachten wir das Los der Kinder: Optimal für deren geistig-seelische Entwicklung und das allgemeine Wohlbefinden kann dergleichen nicht sein, sobald der unerfreuliche Zustand kein vorübergehender ist, sondern zum Normalfall wird.

Gegen den staatlichen Zwang zur Kinderbeaufsichtigung
Aus diesem Grunde müssen wir gründlich darüber nachdenken, ob der Besuch von Kindergärten bzw. schulischen Ganztagseinrichtungen für alle Kinder verbindlich angeordnet werden, oder ob die Entscheidungskompetenz darüber nicht besser in der Hand der Eltern verbleiben solle. Als Angebot, das jeder freiwillig in Anspruch nehmen kann, ist nichts dagegen einzuwenden. Als Zwangsveranstaltung jedoch sind Kinderbetreuungseinrichtungen, die im Ergebnis nichts anderes als eine Art »Ans-Tischbein-Binden« praktizieren, abzulehnen. Das jedenfalls ist meine persönliche Auffassung.

Neue Wege ausprobieren
Als ich vor einiger Zeit im Hauptpostamt von Bad Reichenhall etwas zu erledigen hatte, sah ich mich mit flinken, kleinen Händen konfrontiert: Kinder der Postbediensteten wirkten hinter dem Schalter. Sie hatten die Erlaubnis, an jenem Nachmittag bei der »echten« Arbeit mitzuhelfen. Emsig trugen sie Pakete hin und her, halfen beim Sortieren der Post und verrichteten sonst noch allerlei kleine Hilfsdienste. Stolz und Freude leuchteten in ihren Gesichtern, sie fühlten sich nützlich und beachtet. Was braucht es mehr für ein kleines Erdenglück? Oder aber für ein großes?

Klar, daß eine Aktion wie auf dem Postamt Reichenhall nur eine Ausnahme sein kann. Aber warum eigentlich eine Ausnahme. Ja, warum eigentlich?

Karin Pfeiffer

 
 Foto: Stephanie Hofschläger, pixelio

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