Archiv: August 2007
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22. August 2007 |
Kategorie: Erziehung |
Im letzten Newsletter fanden unsere Leser einen Beitrag zum Thema Erziehung. Heute las ich einen Artikel in der Zeitschrift »Der Naturarzt«*, der genau zu diesem Thema paßt und es durch weiterführende Gedanken ergänzt. Der Beitrag befaßt sich mit Ruhe und Bewegung — dem Rhythmus unseres Lebens, dem die gesamte Schöpfung unterworfen ist. Die Biorhythmen sind unterschiedlich lang — von Zehntelsekunden bis zu Jahrzehnten reichen die Perioden. Tag und Nacht, Woche, Jahr usw. sind vorgegebene Perioden, denen wir uns anpassen müssen. Heute aber werden die Rhythmen zusehends durch technische Möglichkeiten verwischt: die Nacht wird dank der technischen Beleuchtungsmöglichkeiten zum Tag, natürliche Temperaturschwankungen werden mit Hilfe von Klimaanlagen ausgetrickst, den Jahreszeiten entfliehen viele Personen durch Fernreisen. Feste bilden keine echten Höhepunkte mehr, denn viele kleine Feiern und Vorgriffe machen das ganze Jahr zum Fest. Schlemmen und Fasten wechseln einander nicht mehr ab, das ganze Jahr über gibt es Früchte zu kaufen, die man früher nur im Sommer ernten konnte. Arbeit und Freizeit sind beide mit Streß und Unruhe gefüllt, Spannung und Entspannung folgen einander nicht mehr im Wechsel. Feste Zeiten für Mahlzeiten werden nicht mehr eingehalten. Gegessen und getrunken wird jederzeit und überall ... an Beispielen für die Entgleisung der Rhythmen mangelt es nicht. Jedem dürfte bekannt sein, wie belastend Schichtarbeit ist. Die permanente Störung des Biorhythmus bringt den Ablauf der Körperfunktionen durcheinander. Schichtarbeiter tragen ein höheres Risiko, ernsthaft zu erkranken. Doch nicht nur der Körper leidet unter der Störung natürlicher Lebensrhythmen. Nervosität ist die Folge fehlender Enstpannungsmöglichkeiten. Auch seelische Unausgeglichenheit, Depression und Konzentrationsstörungen haben hier ihre Wurzel. Besonders fatal wirkt sich ein gestörter Rhythmus auf die Entwicklung von Kindern aus. Und nun komme ich zu dem Beitrag im »Naturarzt«. Hier ein Abschnitt aus dem lesenswerten Beitrag des Autors, der Arzt ist: Kinder brauchen natürliche Maße und RegelmäßigkeitRhythmik bedeutet Wiederholung, Stärkung und Vertiefung. Denken wir an ein Kleinkind, das laufen lernt. Auf und nieder, Stehen und Hinfallen. Ein Prozess, der mit mehr oder weniger Geduld, aber immer mit Hartnäckigkeit wiederholt wird, bis es gelingt: das Laufen in der Aufrechten. Gerade das Kind benötigt in den ersten Jahren rhythmische Prozesse als Haltepunkte für eine gesund Entwicklung. So bringen dauernde Ortswechsel, das Herausnehmen aus der gewohnten Umgebung oder unregelmäßiges Essen Unruhe in die Entwicklung. Beschwerden wie Schlafstörungen, Überaktivität und Stimmungsschwankungen sind die Folge. Die äußere Ordnung ist Grundlage für die innere Stabilität, die die Basis für eine robuste Gesundheit bildet. Rhythmus stärkt Willenskräfte und damit auch die Leistungsbereitschaft des Kindes. So finden sich bei Lernstörungen im Hintergrund oft fehlende Haltepunkte im Leben des Heranwachsenden.
Karin Pfeiffer | * Der Naturarzt, Ausgabe Nr. 9, September 2007, Seite 18 Verfasser des Artikels: Christian W. Engelbert, Arzt |
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10. August 2007 |
Kategorie: Erziehung |
oder: Was verbindet diese Kinder? | foto: pixelio
| Liebe Leser, das kennen Sie sicher: Man bummelt durch die Fußgängerzone einer Stadt. Aus einer Seitengasse nähert sich schrilles Kleinkindgeschrei. Es steigert sich, schwillt an, überlagert schließlich die akustische Landschaft. Die Tonlage ist teils aggressiv-fordernd, deutlich heraushörbar sind Hoffnungslosigkeit und unendliche Verzweiflung. Nun kommt die Quelle des Lärms in Sicht: Einjähriges im Sportwagen. Der kleine Körper bäumt sich auf, kämpft voller Energie gegen einen unsichtbaren Feind. Die junge Mutter schiebt mit echtem oder gespieltem Gleichmut Sportwagen samt kreischendem Inhalt vor sich her. Dem phantastisch sich verkrümmenden und puterrot angelaufenen Kleinkind wird wenig Achtung geschenkt. Gelegentlich bekommt das Kind den Schnuller in den Mund gesteckt — oder es wird ihm alternativ etwas Eß- bzw. Trinkbares gereicht. Diese unerhörte Zumutung wird prompt ausgespieen. | Kulissenwechsel, nur die Personen sind andere. Der Sportwagen nicht ganz so elegant. Wieder Sirenengeheul, Aufbäumen, halbherzige wie vergebliche Beruhigungsversuche. Wir sind in einem Kaufhaus. Die sehr junge Mutter begutachtet Dessous. Das Kleinkind kippt mehrmals fast aus dem Gefährt. Unkonzentriert unternimmt die Mutter einen Versuch, das brüllende Kind hochzunehmen; dieses macht sich steif wie ein Brett und kreischt, als sei sein Leben in Gefahr. Die Mutter wendet sich lieber wieder den Textilien zu, die sind einfacher zu handhaben. Dritte Szene, diesmal in freier Natur. Den steinigen Pfad zum Alpengipfel schreiten wir zügig voran. Es ist kurz nach Mittag, die Sonne brennt. Da kommt uns in schneller Fahrt ein Mountainbiker entgegen. Auf dem Gepäckträger hopst und baumelt etwas Rotgelbes. Ein Ball? Als der sportliche Biker an uns vorübersaust, erkennen wir: der Ball, das ist ein Kinderkopf! Im Fahrradsitz das kleine Mädchen ist etwa ein Jahr alt. Es trägt einen rotgelben Sonnenschutz. Auf dem holprigen Pfad schleudert das Kinderköpfchen haltlos hin und her. Die Muskulatur des Einjährigen ist noch nicht kräftig genug, um den Kopf bei heftigen Stößen und plötzlichen Richtungsänderungen stabil zu tragen. Uns bleibt der Mund offen stehen, und bevor wir unsere Sprache wiederfinden, sind Mann und Kind schon außer Rufweite. Das Bild des haltlos baumelnden Kinderkopfes bedrängt mich bis heute. Was mag aus dem Kind geworden sein? Verzweifelt brüllende Kleinkinder in der Stadt und das körperlich in Gefahr gebrachte Einjährige auf dem Alpengipfel — was verbindet sie? Es ist die Gedankenlosigkeit ihrer Eltern, der Verlust jeden Gespürs dafür, was man einem Kind geistig und körperlich zumuten darf und was nicht. Uns Menschen fehlt der Instinkt, der zum Beispiel die Tiere anleitet, das Richtige zu tun. Der Mensch unterscheidet sich vom Tier durch seine Kultur. Er hat sie mit der Einbuße seines Instinkts bezahlt und ist nunmehr darauf angewiesen, bestimmte zum Überleben notwendige Verhaltensweisen von erfahrenen Mitgliedern der Gesellschaft lernen zu müssen. Bei der Weitergabe dieser Verhaltensweisen scheint die moderne Gesellschaft zu versagen. Viele junge Menschen wissen anscheinend nicht mehr, wie nötig ein Kind neben Anregung auch Ruhe und Schonräume braucht, wo es seine körperlichen und geistigen Anlagen ungestört entfalten kann. Das Kind in der Großstadt kann sich selbst nicht vor Reizüberflutung wehren. In einer wenig rhythmisierten Umwelt leidet es an Dauerstreß, ist ständig übermüdet und kann sein Unwohlsein und seine Verzweiflung nicht anders als durch Dauergebrüll ausdrücken. Der sportliche Vater auf dem Alpengipfel meint es besonders gut, wenn er sein Töchterlein überall hin mitnimmt. Doch hält er das Kind wohl für eine Art Puppe. Ihm ist nicht klar, daß gewisse Voraussetzungen in der Entwicklung des Kindes erfüllt sein müssen, ehe er sein Kind solch gewaltigen körperlichen Strapazen aussetzen kann. Einschränkungen in der persönlichen Lebensführung zugunsten des Kindes werden aus Unwissenheit weder hier noch dort als nötig erachtet. Diese jungen Eltern handeln nicht aus Rücksichtslosigkeit oder gar Böswilligkeit. Sie wären entsetzt, wenn sie begriffen, wie ihr Verhalten sich auf das Kind auswirkt. Ob man ihnen das klarmachen könnte, ist allerdings eine andere Frage. Denn gedankenloses Verhalten Kindern gegenüber ist inzwischen weit verbreitet und wird daher von vielen Erwachsenen bereits als normal betrachtet. Alles ist möglich, alles ist machbar, Schonraum für Kinder und Rücksicht auf deren Befindlichkeit sind dann wohl irgendwie »von gestern«. Karin Pfeiffer |
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09. August 2007 |
Kategorie: Besinnliches |
Wir wissen meist ganz genau, welche Fehler uns hartnäckig durchs Leben begleiten. Können wir sie deshalb abstellen? Mitnichten. »Das Erkennen einer Unzulänglichkeit ist ja leider nicht notwendigerweise mit der Vermeidung gekoppelt«, schreibt Dietrich Dörner in seinem lesenswerten Buch »Die Logik des Misslingens« (rororo) Der kluge Spötter Mark Twain sagte einmal, schlechte Gewohnheiten solle man nicht zum Fenster hinauswerfen, sondern Stufe für Stufe die Treppe hinuntertragen, wenn man sie wirklich loswerden möchte. Wie ist das gemeint? Aha, harte Arbeit. Genau betrachten, was man da loswerden möchte. Arbeit an uns selbst, an unseren täglichen Handlungen, die wir zurechtbiegen müssen wie der Schmied das Eisen, das er immer wieder ins Feuer halten muss, wenn es schmiegsam bleiben soll. Schlechte Gewohnheiten sind äußerst anhänglich. Sie haben die üble Eigenschaft, zur Hintertür hereinzuschleichen, wenn wir sie zum Vorderfenster hinausgeworfen haben. Es gefällt ihnen bei uns gar zu gut. Das Leben ist in dieser Hinsicht ein Ringen am Treppenabsatz, um bei Twains Bild zu bleiben. Und jeder Zentimeter ist ein Gewinn. Verena Katerle
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02. August 2007 |
Kategorie: Schule |
„Was tun wir, wenn wir gehen, sprechen, zeichnen, tanzen lernen? Nicht wahr? Wir üben und vollführen ein Werk; wir machen es nach, bis wir es können, bis es gelingt, mit unseren Kräften, mit unseren Gliedern. So bei sichtbar in die Augen fallenden Künsten; bei unsichtbaren und bei der unsichtbarsten von allem, dem Denken, findet das Lernen auf keine andre Weise statt. Seine Gedanken kann mir der Lehrer nicht eingeben, eintrichtern; meine Gedanken kann, will, und muß er durch Worte wecken; also daß sie meine, nicht seine Gedanken sind. Worte sind bloß das Instrument, dies muß ich mit eigenen Kräften, auf meine Weise brauchen lernen, oder ich habe nicht gelernt.“ Johann Gottfried Herder (aus einer Schulrede vom Juli 1800) | | | | | |
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01. August 2007 |
Kategorie: Besinnliches |
Das Leben ist eine Geschichte Menschen auf der ganzen Welt hören gern Geschichten. Wir erzählen einander im Gespräch täglich kleine Geschichten. Die Bibliotheken der schriftkundigen Völker sind voller Geschichten – mehr als jemals ein einziger Mensch lesen könnte! Magische, komische und alltägliche Geschichten formen von Klein auf unser Denken und prägen Denken und Einstellung. Dies ist uns nicht bewußt. Alle Religionen offenbaren sich durch spannende und bewegende Episoden, die von Generation zu Generation weitererzählt werden. Sie dienen der Lebensbewältigung. Gelernt wurden an den Schulen ehedem nicht nur ABC und Einmaleins, sondern auch »rechtes Leben« mittels religiöser Geschichten. Auch der weltliche Lernstoff präsentierte sich erzählerisch. Das Fach Geschichte wird bis heute in der Schule nur dann als spannend erlebt, wenn der Lehrer packend zu erzählen weiß. Die Geschichten sind in Gefahr! Sie werden hinweggeschwemmt durch eine Flut von Bildern sowie einem berechnenden, kalten Verstand. Wir haben noch nicht begriffen, wiesehr uns dies aushöhlt und langweilt. Der Mensch braucht Märchen, Mythen, Alltagsgeschichten. Sie allein sind dazu imstande, sein Herz zu erreichen, ihn emotional zu berühren. Weil seine Gefühle geweckt werden, kann er über die Botschaft der Geschichte nachdenken. Weil er fühlt, vermag er zu denken. Geschichten helfen dem Menschen, seine Welt zu ordnen – und Orientierung hat er dringend nötig, denn die Welt selbst präsentiert sich ihm als Chaos. Es ist seine Aufgabe, dieses Chaos in eine Ordnung zu bringen. Jeder Mensch findet seine eigene Ordnung. Deshalb ist eine bestimmte Geschichte nicht für alle Menschen dieselbe - jeder interpretiert sie auf seine Weise. Niemand vermag uns die Arbeit der Weltorientierung abzunehmen. Jeder Mensch, ob klein oder groß, muß selbst aktiv werden. Geschichten bilden darin die wirksamsten und daher unentbehrlichen Wegweiser. Gebt den Kindern die Geschichten zurück! Die moderne Pädagogik hält Geschichten für Zeitverschwendung. Wann werden wir erkennen, daß dies ein folgenreicher Irrtum ist? Der kalte Unterricht der Moderne meint, ohne Geschichten auskommen zu können. Er will - ganz der Ökonomie der Zeitersparnis verpflichtet – das Denken und Handeln der Schüler ohne Umwege formen. Dieses Anliegen aber muß scheitern; und scheitert es nicht täglich in den Schulzimmern, wo immer aufs neue frustrierte Schüler erschöpfte Lehrer ärgern? Diese fühlen sich verloren in einer Welt ohne Wegweiser, wie sie Geschichten enthalten. Jene mühen sich nach Kräften, und doch so vergeblich, die Vernunft der Kinder auf direktem Wege zu erreichen: Sie appellieren und verbieten, erklären und drohen. Verstehen sie denn nicht: bevor der Mensch »vernünftig« denken und handeln kann, muß sein Fühlen angesprochen werden! Anders ausgedrückt: Der Kopf kann nur über das Herz erreicht werden. Auf umgekehrtem Wege geht es nicht. Das Herz ist es, welches den Takt vorgibt, den Zeitrahmen. Abkürzungen existieren nirgendwo. Lesen und Schweigen Natürlich wird an den Schulen immer noch gelesen und erzählt. Doch begehen die meisten Lehrer – aus Unkenntnis – einen Fehler, der die positive Wirkung jeder Geschichte sofort im Keim erstickt: sofort wird der Lesestoff gründlich diskutiert und zerredet. So kommt die Botschaft für das Herz unter die Räder des technokratisch geplanten Unterrichts. Faser für Faser wird sie säuberlich mit dem Seziermesser des Verstandes bloßgelegt und einem, vom Lehrplan definierten Zweck untergeordnet. Das »tötet« den unsichtbaren »Geist« von Geschichten, reißt ihnen das Herz aus, raubt ihnen die mystische Kraft. So wie unsere Nahrung durch die »Behandlung« in Fabrik und Küche einen Großteil ihrer ganzheitlichen Wirkstoffe verliert, so büßen Geschichten die ihnen innewohnende Zauberkraft ein, wenn wir sie mit zudringlicher Neugierde »behandeln«. Geschichten wollen nicht zer- und beredet sein. Hinzu kommt, daß die Botschaft auf jeden Menschen anders wirkt. Jeder hört eine »andere«, nämlich seine eigene, Geschichte. Ihre positive Kraft können sie unter Umständen Jahre später entfalten. Dazu bedarf es des Zutrauens und der Geduld der Erziehenden. Wir brauchen Geschichten. Sie gehören uns selbst – jedoch nur dann, wenn niemand anderer schamlos bis in unser Innerstes eindringt und dort nach eventuellen Wirkungen sucht. Die Wirkdosis ist überdies homöopathischer Natur, man kann sie ohnehin nicht messen. Der Lehrer, der aus Schülermund hier und jetzt die gewünschte moralische oder lebenspraktische Schlußfolgerung hören möchte, verschüttet unwissentlich und sicher auch ungewollt den Zugangskanal zum Schülerherzen. Zweckgeplapper ist Zeitverschwendung! Geschichten benötigen die Zeit der Stille, um ihre Wirkkraft zu entfalten. Hüten wir uns also davor, mit vorwitzigem und unbedachtem Gerede die einzigartige Atmosphäre einer Erzählung zu stören. Reden ist oft genug nur Lärm. Und Lärm vertreibt jeden Zauber – so auch den von Geschichten. Karin Pfeiffer
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