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didacta Basel

 
01. November 2008
didacta Basel
Kategorie: Schule

Didacta Basel
White Boards und der Bannwald

In der letzten Oktoberwoche fand die Bildungsmesse didacta in Basel statt. Der Stolz Verlag war mit seinem altmodischen Papierkram inmitten körperloser Technik plaziert: links ein Anbieter von Whiteboards; rechts ein Anbieter von Whiteboards; frontal ein Anbieter von Whiteboards, und im Rücken ein ebensolcher. Eine von Whiteboards dominierte Messe. Dutzende von Konkurrenten beäugten einander in der Ausstellungshalle. Jeder einzelne von ihnen erhoffte sich Vertragsabschlüsse mit Schulen, je mehr, desto besser.

Wer braucht dieses technische Spielzeug? Dient es der geistigen Entwicklung unserer Kinder? Leben sie nicht schon in einer beängstigend, von körperlosen Illusionen geradezu durchtränkten Welt? Kaum noch gibt es etwas anzufassen, selbst zu machen. Sie sind reduziert auf ein Zuschauerdasein, in dem nichts mehr zu tun bleibt als hin und wieder mit dem Zeigefinger auf ein Symbol zu tippen oder ein paar Knöpfe zu drücken. Ist es das, was uns als perfekter Unterricht vorschwebt?

Ich bin Mitglied in einem kleinen Chor. Die wöchentlichen Singproben finden abends im Klassenzimmer eines Gymnasiums statt. Manchmal ist die grüne Flügeltafel nicht geputzt. Bei der letzten Probe vor der Messe schauten wir auf einen Bannwald. Mit flinken Kreidestrichen hatte die Lehrperson im vormittäglichen Unterricht einige Tannenbäume auf steiles Berggelände gesetzt, Merkwörter und -sätze erklärten die Skizze. Der Betrachter sieht förmlich den Lehrer zeichnen, das Tafelbild entwirft er mit flotter Hand. Unser erstaunlich phantasiebegabtes inneres Auge formt das in Umrissen Dargestellte zu einem richtigen Bergwald um.


Nun legt der Lehrer die Kreide weg, wischt sich den Staub von den Fingern, und während er dies tut, spricht er, erklärt und setzt dem ganzen noch einen weiteren Aspekt des Lebendigen darauf. Die Schüler haben erlebt, wie der Lehrer selbst durch seine Hände und seinen Geist etwas entstehen lassen kann, wie menschliche Schöpferkraft mit Hilfe einfacher Dinge eine erdachte Wirklichkeit jenseits der gerade erlebten schafft. Das kann ich auch, denkt der Schüler, und zeichnet selbst: mit körperlichen Buntstiften auf das Papier seines Schulheftes. So wächst die Phantasiebegabung, ohne die es Bildung nicht geben kann.

Niemals wird ein Whiteboard dieselbe positive Aktivität bei Schülern auslösen können. Abgesehen von den technischen Problemen, die sich im Gebrauch ergeben, sind Multimediatafeln nichts als eine technische Spielerei — in gewisser Weise faszinierend wie alles Technische, als pädagogisches Arbeitsgerät eher überflüssig. Und teuer obendrein. Das Zeichnen an die Tafel — so unvollkommen und dilettantisch es anmuten mag, ist keine Zeitverschwendung. Und schon gar nicht ist es »unwissenschaftlich«. Wenn wir unsere Schulkinder als Zuschauer in eine perfekte Welt setzen, verkürzen wir sie zu passiven Konsumenten. Kinder aber möchten selbst zeichnen, malen, bauen, schaffen. Wenn wir ihnen nur noch eine illusionäre Welt der Technik vor die Nase setzen, bleibt ihnen nichts anderes zu tun als zu schauen und Knöpfe zu drücken. Damit werden sie sich aber nicht begnügen, soviel steht fest. Ihre Energien und ihren Lebenswillen werden sie anderswo entladen, und die Wege, die sie dazu gehen werden, könnten uns überraschen.


Unterricht darf keine technisch ausgeklügelte Veranstaltung sein nach dem Vorbild von Fernsehshows. Das Konsumieren von Bildern, Tabellen oder sonstigen visuellen Schautafeln sollte niemand mit Lernen verwechseln. Lernen ist aktives Nachahmen. Nachahmen braucht ein Vorbild. Ein Vorbild kann nur der Mensch sein. Technik beziehungsweise das, was mit technischer Hilfe im Verborgenen entstanden ist, übt keinen Nachahmungstrieb aus, sondern macht hilflos. Whiteboards an der Schule verdrängen einmal mehr das Handwerkliche, das Lebendige. Sie fesseln die Energien und den Willen der Schüler und sind damit ein weiterer Schritt zur Entfremdung von Sinn und Zweck lebendigen Lernens an der Schule. Ich wünsche mir mehr »Bannwald« an der Schule! Sie nicht auch?

Karin Pfeiffer

 

Siehe dazu auch die Diskussion im LEHRERFREUND.

 



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