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Kann man zu Lebensfreude erziehen?

 
07. August 2008
Kann man zu Lebensfreude erziehen?
Kategorie: Erziehung
Der folgende Text entstand vor etwa hundert Jahren. Es lohnt sich, über seine Aussage nachzudenken. Deutlich wird darin die Erkenntnis, dass Glück und Zufriedenheit nicht auf direktem Wege gelernt, erworben, vermittelt werden können. Ein positives Lebensgefühl wird sich am ehesten für jenen Menschen einstellen, der die Nüsse selbst knacken muss. Wir sollten daher keine Scheu davor haben, unseren Kindern in der Lebensführung Selbständigkeit dort zuzugestehen, wo die Voraussetzungen dazu gegeben sind. Hindernisse und Hürden allerlei Art sind nichts anderes als jene Ziegelsteine, aus welchen das Haus des Glücks gebaut wird.
Gesegnet mein Wille zum Leiden! Ich verdanke ihm meinen inneren Frieden, meinen Mut im Lebenskampfe, meine Kraft und Stärke. Traurig lächeln muß ich, wenn ich allenthalten verkünden höre, das heranwachsende Geschlecht solle eine Erziehung zur Lebensfreude erfahren. Was für eine Gattung Freude mag das sein, von der diese Erzieher träumen? Zur gemeinen Lebensfreude braucht nicht erst erzogen zu werden, den Weg zu ihr finden Menschen und Tiere von selbst; es kann also doch nur von einer schönen und erhabenen Daseinsfreude die Rede sein, und den Weg, der zu ihr führt, haben wir gekannt, ehe einer der Lebensfreude-Verbreiter, die jetzt so laut werden, geboren war. Wir wußten, daß dieser Weg das Streben nach Selbstvervollkommnung ist, daß in ihr das einzig reine Glück der Erde besteht und daß es nur durch den Willen zum Kämpfen und zum Leiden errungen werden kann.

Marie von Ebner-Eschenbach (1813 - 1916)

 
foto: pixelio



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