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Das schiefe Bild

 
24. Februar 2010
Das schiefe Bild
Kategorie: Besinnliches

 

Wie Dinge einen verfolgen können

Meist fühle ich mich aus unerfindlichen Gründen gehetzt und eile durch die Pflichten des Tages. Gestern hängte ich ein Bild an die Wand, es befand sich danach nicht ganz im Lot. Ich sage zum Bild: Das ist mir jetzt wurscht! Dann gehe ich anderen Arbeiten nach. Doch das Bild steht wie ein bösartiges Phantom hinter mir und zwickt und zwackt mich: „Du, ich hänge schief!" Da kann ich hingehen, wo ich mag: ins Büro, in den Garten, aufs Klo. Das Phantom verfolgt mich überall hin. Es spricht: „Du, ich hänge schief! Schief! Schief!!!" Mir bricht der Schweiß aus, nervös zucken meine Fingerspitzen. Schließlich gehe ich widerstrebend an den Ort zurück, von dem die physisch spürbare Störung ausgeht. Ich betrachte das Bild giftig und rücke es dann zurecht.

So aber geschieht es mit allen Dingen. Der Eßlöffel, der nach dem Einräumen im Besteckfach auf dem Kopfe liegt, das Buch, das im Regal aus der Reihe der anderen Bücher herausragt. Das Schreibheft mit dem Eselsohr, der leergeschriebene Füller, die unordentlich übereinander abgelegten Schriftstücke, die Fransen, die unter den Teppichkörper geraten sind, die Schuhe, die sich als Paar verkracht haben ... ja sogar der Topfdeckel, der sich in die falsche Schublade verirrt hat - sie alle werden zu Bildern, die einen so lange verfolgen können, bis man zu ihnen zurückkehrt und Ordnung schafft. Erst dann ziehen Ruhe und Stille im Geiste ein.

Karin Pfeiffer

 



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