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Newsletter Nr. 26 – November 2008

 
15. November 2008
Newsletter Nr. 26 – November 2008
Kategorie: Newslettertexte
»Er verkauft mir die Eier« 

Bericht über ein herzerwärmendes Gespräch mit einer engagierten Mutter

»Kinder machen uns Erwachsenen alles nach«, so spottete einst ein bekannter Dichter. Wir grinsen, wenn wir Humor haben. Und wir nicken, wenn wir zu Ende gegrinst haben, denn hinter diesem Bonmot steht die tiefe Einsicht, daß Kinder nur vom menschlichen Vorbild und nicht nach raffinierten Rezepten lernen. Werte, mentale Einstellungen und kulturelle Fähigkeiten können eben nicht abstrakt gelehrt werden. Sie werden durch das Miteinander in den Familien unbewußt eingeübt. Jeder Lehrer weiß, wie fruchtlos seine Bemühungen sind, wenn ein Kind nicht lernen will oder kann, weshalb auch immer. Die Wurzeln für Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit wachsen im Elternhaus.

Für das Fernsehen gar keine Zeit
Während der Schweizer Bildungsmesse didacta hatte ich Gelegenheit zu einer ausführlichen und außerordentlich interessanten Unterhaltung mit einer Mutter, die drei ihrer fünf Kinder zu Hause unterrichtet.* »Einen Fernseher haben wir nicht«, sagte die Mutter, die auf mich ausgesprochen lebendig und lebensfroh wirkte — trotz aller Zweifel, von denen sie nach eigenen Aussagen gelegentlich heimgesucht werde. »Für das Fernsehen hätten wir auch gar keine Zeit. Meine Kinder haben den Tag über viel zu tun. Mein Zweitjüngster zum Beispiel führt seit Jahren regelmäßig Buch über seine Hühner ...« Sie machte eine Pause und bat dann fast etwas verlegen: »Lachen Sie nicht!«
Buchführung über Hühner? Ich erfuhr nun, und meine Hochachtung wuchs, folgendes: Der Junge halte seit Jahren Hühner und sorge selbständig für sie. Er beschaffe Futter, das koste schließlich Geld. Dieses Geld verdiene er sich selbst. »Er verkauft mir die Eier!« Jetzt mußte ich doch schmunzeln, und die Mutter schmunzelte mit.

Lernen: ganz nebenbei ...
Können Sie sich, verehrter Leser, vorstellen, von welch überwältigend großem Stolz ein elfjähriger Knabe erfüllt sein muß, wenn er auf diese Weise zur Ernährung der Familie beitragen kann? Eier gehören zu den Grundnahrungsmitteln. Und da wäre noch so ein Nebenbei in dieser Angelegenheit: Ganz nebenbei — tatsächlich nebenbei! —lernt dieser Knabe Lesen, Schreiben, Rechnen, Buchhaltung, Wirtschaftslehre, Haushaltslehre, Biologie, Liebe zum Tier ... die Liste kann beliebig fortgeführt werden. »Aber meine Kinder sind dabei auch unglaublich verspielt«, berichtete die Mutter. »Viel mehr als andere im selben Alter. Manchmal bin ich im Zweifel ...«

Das Spiel bereitet auf das Leben vor
Oh nein, bloß kein Zweifel: Spielen ist keine Zeitverschwendung! Das Spiel bereitet auf das Leben vor. In unseren Kindergärten und Schulen wird den Kindern heute viel zu früh das Spielen ausgetrieben. Da wird kollektiv gelenkt und akademisch verkopft. Da wird gemessen, gewogen, gezählt und evaluiert. Was immer sich dort »Spiel« nennt, es ist dies kein Spiel mehr, sondern todernste Einübung in erzwungenen Gehorsam. Es liegt an der schieren Menge, ein Lehrer und dreißig Kinder ...
Kollektive Lenkung (von Erziehung mag ich nicht sprechen) einer altershomogenen Großgruppe in lärmigen Schulhäusern ist nicht jeden Kindes Sache. Es gibt Kinder, die gern zur Schule gehen und von ihr viel profitieren. Es gibt aber auch solche, die nicht so robust sind. Sie leiden unter den Bedingungen und sind deshalb auch nicht in der Lage, ihre vorhandenen Anlagen voll zu entfalten. Solche Kinder lernen besser in einer ruhigen Umgebung, zum Beispiel zu Hause. Das älteste wie auch das jüngste Kind der betreffenden Mutter fühlen sich nach deren Angaben in der Schule wohl. Die anderen drei aber unterrichte sie nach einem mißglückten Versuch zu Hause, seit Jahren schon. Und das klappe wunderbar.

Lernpflicht ist nötig, Schulzwang auch?
Deutschland ist in den meisten politischen Belangen um sogenannte Harmonisierung mit den übrigen Ländern Europas bemüht. Weshalb kann der weltweit einzigartige und peinliche Schulzwang nicht durch Schul- und Lernpflicht ersetzt werden, wie es anderswo der Fall ist? Nur wenige Eltern sind bereit, die Last des Homeschoolings auf sich zu nehmen. Kann man dieser Minderheit nicht entgegenkommen? Kinder, die zu Hause lernen, schneiden sowohl im Leistungsniveau als auch im mentalen Bereich überdurchschnittlich gut ab. Dies zeigen die Prüfungen, denen sich auch Homeschooler unterziehen müssen. Lernpflicht, nicht Schulzwang! Wäre dies nicht ein gangbarer Weg?

Mit diesem Beitrag möchte ich der engagierten »Heimschulmutter« einen lieben Gruß schicken und mich gleichzeitig entschuldigen, wenn ich einige Details (Alter der Kinder usw.) nicht korrekt erinnere — insgesamt hat mich das Gespräch im positiven Sinne derart beschäftigt, daß ich es auf diese Weise verarbeitet habe und nunmehr der Öffentlichkeit davon berichten möchte.

Meine Botschaft an Eltern und Lehrer lautet:

Gebt euren Kindern echte Aufgaben, fordert sie heraus! Das vermittelt ihnen das berechtigte Gefühl, gebraucht zu werden! Kinder wollen Nützliches tun, wollen sich beweisen, wollen sich anstrengen, um sich die Zugehörigkeit zu erarbeiten. Sie möchten nichts geschenkt haben. Geschenke sind ihnen zwar vordergründig willkommen, erfüllen sie aber nachträglich mit Zorn oder Trauer, wenn sie nichts im Tausch zu geben vermögen. Sie wollen beachtet sein — nicht bloß beschäftigt, damit sie Ruhe geben, wenn Lehrer für die leidige Schulbürokratie irgendwelche Formulare ausfüllen und Berichte über Betragen und Lernfortschritt zu formulieren haben, welche in den Amtsstuben wohl nie jemand lesen wird, und die auch zu sonst nichts taugen … ein Thema für sich, das einmal der gedanklichen Durchdringung bedürfte.

Eine geistig anregende, ruhige und lebenspraktische Lernumgebung ist, ich gebe es zu, in der Schule schwer zu verwirklichen — aber auch zu Hause nicht ganz ohne Mühe einzurichten. Die Empfehlung, auf der Etagenwohnung Hühner zu halten, kann ich nicht ernsthaft aussprechen. Und gackerndes Federvieh auf dem Schulhof? Ebenfalls unvorstellbar. Aber vielleicht geht es auch anders. Auf allen Messen, so auch auf der gerade in Basel gewesenen, begegnen mir zahlreiche engagierte Lehrer, die sagen: »Ich bin jetzt schon 20, 30 oder gar 40 Jahre im Dienst. Ich bin immer noch gern Lehrer, und die Kinder kommen gern in meinen Unterricht!« Das ist eine gute Botschaft, ganz ohne Hühner. Ein Lehrer, der solches von sich berichtet, könnte genausogut von seinen Schülern sagen: »Sie verkaufen mir die Eier!«

Karin Pfeiffer


* Homeschooling – also Schulung der Kinder in Eigeninitiative der Eltern – ist weltweit üblich und in den meisten Staaten problemlos möglich. Staatlichen Schulzwang gibt es – übrigens seit dem Jahr 1938 – nur in Deutschland. In Hessen sehen Behörden Homeschooling sogar als Straftat an, alle anderen deutschen Bundesländer ahnden diese Schulform als Ordnungswidrigkeit mit hohen Bußgeldern.

 

 

»... viele Grüße in die Schweiz: der Mutter wünsche ich weiterhin viel Fröhlichkeit und Kraft!«

 

 

 


foto: pixelio

Ich habe noch nicht gehört, dass Hühner an den Tisch kommen, und uns die Eier in den Becher legen.
Wer also Eier essen möchte …

 

 

 

 

 
foto: pixelio
… muss dafür sorgen, dass sie auf den Tisch kommen.
Und das macht Arbeit.

 

 


foto: pixelio

 Sensible Kinder lernen am besten, wenn sie allein sind. 
Ruhe und Geborgenheit sind das, wessen sie am nötigsten bedürfen.

     
 
foto: pixelio
 



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