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Ungewolltes Einprägen von Fehlern

 
02. Februar 2009
Ungewolltes Einprägen von Fehlern
Kategorien: Schule | Schriftkultur

  »Fritz Nopf meint«

Alles, was der Mensch lernt, geht durch wiederholtes Üben ins sogenannte »Langzeitgedächtnis« ein. Der Mensch kann sich alles mögliche einprägen, also neben Nützlichem und Richtigem auch Nutzloses, Dummes oder gar Fehlerhaftes bzw. Falsches. Auf dem unendlich weiten Gebiet der Möglichkeiten geht die moderne Grundschulpädagogik einen auffallend eigenartigen Weg. Sie gestattet nicht bloß, sondern sie empfiehlt sogar, Schulkinder sollten so früh wie möglich mit dem »Freien Schreiben« beginnen. Eltern sollten tunlichst nichts korrigieren. Diese aber sind voller Sorge, denn die von Erst- und Zweitklässern produzierten »freien« Texte sind voller Fehler, in nicht wenigen Fällen sind sie völlig unleserlich. Das Lob, das den Kindern hierfür gespendet wird, kann eigentlich nicht ehrlich gemeint sein. Erwachsene, die angesichts der kreativen Krakelei in Freudenschreie ausbrechen, müssen sich den Vorwurf der Heuchelei machen lassen. Nebenbei bemerkt: Kinder spüren das genau! 

Haben Sie schon von der sogenannten »Erstprägung« gehört? Dieses aus der Verhaltenspsychologie bekannte Prinzip erklärt den Vorrang des zeitlich zuerst Gelernten und Eingeübten vor allem später Gelernten. Was zuerst gelernt wird, prägt sich dauerhaft und fest ein. Allen nachträglichen Korrekturen widersteht dieses Erstgelernte und -geübte auf hartnäckige Weise. Kennen wir das von aus eigenem Erleben: alte Gewohnheiten sind kaum zu bekämpfen! 

Es ist nicht erstaunlich, wie konsequent die moderne Pädagogik gegen alle Lebenserfahrung handelt? Wie sie ernstzunehmende wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert? Ein gewisses Maß an Realitätsverdrängung ist hier wirksam, denn sonst müsste sich längst die Erkenntnis durchgesetzt haben, dass das »freie Schreiben« eine dauerhafte Fehlerquelle ist, deren man später kaum noch Herr wird. Anstatt Ursachenforschung zu betreiben, sucht man dort, wo es hell zu sein scheint: notfalls macht man für die hartnäckige Schreibschwäche eine geheimnisvolle, »Erkrankung« des kindlichen Gehirns verantwortlich. Dies ist wenig hilfreich, im Gegenteil. (siehe hier)

Schauen wir uns einmal die Situation eines Schulkindes an, das gerade das ersten Schuljahr begonnen hat. Sein noch aufnahmefähiges Gehirn prägt sich Wortbilder und Muster umso dauerhafter ein, je früher sie in der zeitlichen Abfolge des Unterrichts wahrgenommen und eingeübt werden. Sind sie nach den gängigen Rechtschreibkriterien »falsch«, dann sorgen diese Fehler unter Umständen ein Leben lang für orthographische Irritationen. Das bedeutet: das Kind wird in der Rechtschreibung immer unsicher bleiben. Freude am Schreiben kann sich nicht entwickeln, denn der Mensch tut nun einmal nur das gern, was er sicher beherrscht.

Den modernen Unfug des kreativen »freien Schreibens« sollten wir aus Gründen der Verantwortung für die Bildungszukunft unserer Kinder so rasch wie möglich aus Lehrplänen und Stundentafeln entfernen!

Verena Katerle

 (Fritz Nopf meint. aus: PIC-Club Nr. 101, Jg. 5, Seite 8)
 

Anmerkung der Redaktion:
Uns ist bewußt, daß die Methode des »Freien Schreibens« einen festen Platz in der Schulpädagogik und zahlreiche Anhänger hat. Die Argumente, die dafür zu sprechen scheinen, sind auf den ersten Blick stichhaltig — doch eben leider nur auf den ersten Blick. Deshalb halten wir die obige Kritik für gerechtfertigt. Zumal die dürftigen Ergebnisse in der Praxis allgemeine Besorgnis erregen. Wo immer sich zwischen Theorie und Praxis eine Lücke auftut, wird man wohl oder übel bei der Theorie ansetzen müssen, denn nur diese kann man ändern. (siehe dazu hier»») Mir persönlich hilft das Nachdenken über eigene Erfahrungen sehr. In diesem Falle stelle ich mir vor, ich müßte in Chinesisch Aufsätze schreiben, noch ehe mir die Zeichen genügend vertraut sind. Das ist eine irritierende, eine unangenehme Vorstellung. Kindern dürfte es beim »Freien Schreiben« nicht viel anders zumute sein: sie sollen schreiben, obwohl sie es doch noch gar nicht richtig können!

Karin Pfeiffer



Kommentare zu diesem Beitrag:
von Andrea Stein (08. Februar 2009, 18:28):
Ich bin Klassenlehrerin von 23 Drittklässlern, von denen 2/3 der Kinder einen Migrationshintergrund haben. Ich ermuntere die Kinder meiner Klasse eigentlich regelmäßig zum freien Schreiben kleiner Alltagserlebnisse und Geschichten. Auch wenn ich über Rechtschreibung und Satzbau häufig selber entsetzt bin, lasse ich mich nicht entmutigen und bemühe mich viele Texte der Kinder mit ihnen alleine oder mit der Gruppe sorgfältig zu überarbeiten. Wir haben folgende Vereinbarung getroffen: Schreibe deinen ersten Entwurf auf einen Kollegblock und lass immer eine Reihe zur Korrektur frei. Dann können die Kinder selber oder ich diese Zeile verwenden und Verbesserungen machen. Leider habe ich Unmengen von geschriebenen Entwüfen in meinem Geschichtenordner und komme einfach nicht bei. Aber Hauptsache ist doch, dass meine Kinder fast alle ausnahmslos jetzt gerne schreiben und auch wollen, dass ich ihren Text der Klasse vorstelle. Wie organisieren andere Kollegen das Anbahnen von "Texten schreiben"? Ich freue mich über jede Kritik und Anregung. Mir freundlichen Grüßen A. Stein
 
von U.Schildt-Picht (22. Februar 2009, 17:44):
Dr.Jansen (InterActPlus-Konzept)hält das zu frühe freie Schreiben für den wesentlichsten Fehler beim Erwerb der Schriftsprache. Deshalb sind die Zahlen der Kinder, die eine angebliche Lese-Rechtschreibschwäche haben,in den letzten Jahren so explodiert. Ich gebe Wörter vor und dann werden daraus Geschichten geschrieben.
(Wörter werden gesammelt und z.B. an die Tafel geschrieben.) Man kann ja auch Geschichten mündlich erzählen lassen. Jedes falsch geschriebene Wort wird im Gedächtnis gespeichert und braucht einer viel längeren Übungsphase als ein gleich richtig geschriebenes
Wort. (Das falsch geschriebene Wort muss ja erst "überlernt" werden.) Wichtig ist auch nicht die Fülle der Geschichten, die keiner mehr liest, sondern ein kleiner richtig geschriebener Text, den man stolz vorzeigen kann. In kleinen Schritten muss man vorwärts gehen-altersgemäß. Beim Erlernen des Autofahrens fährt man auch nicht gleich auf die Autobahn.
 



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