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Scheiß-Schule!

 
26. April 2012
Scheiß-Schule!
Kategorie: Anekdoten
Scheiß-Schule!

Aus versicherungsrechtlichen Gründen ist es den Schülern verboten, sich in der Pause vom Schulhof zu entfernen, auch wenn es bloß ein paar Schritte sind. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist ein Metzgerladen, Magnet und ewige Versuchung für die hungrigen Buben und Mädchen auf dem Schulhof. In unserem alten Schulgebäude gibt es keine Kantine. Wer sein Pausenbrot zu Hause vergessen hat, muß hungern.
Michael hat sich letzte Woche davongeschlichen und kam dann mit einer senfbestrichenen Bulette zurück. Herr Meier hat einen Tadel ins Klassenbuch eingetragen, ihn vor der Klasse zusammengeschissen und eine Stunde nachsitzen lassen. Heute unterrichtet Herr Meier am Schulzentrum, und in der 10-Uhr-Pause habe ich Aufsicht.

Michael steht vor mir wie aus dem Schulhofpflaster gewachsen und deutet auf den Metzgerladen: »Ich lauf mal eben rüber und hol mir eine Frikadelle, okay?« Dabei zwinkert er mir zu, ein kleines Geheimnis, das wir uns teilen sollen, ganz ohne Herrn Meier. So gern ich es möchte, aber ich darf mich nicht mit dem hungrigen Michael verbünden.
»Du weißt doch, daß das verboten ist!« sage ich und schaue ihn mitfühlend an.
»Ich bin sofort wieder zurück, keiner sieht es. Bitte, lassen Sie mich gehen!«
»Nein, du bleibst da.«
»Scheiß-Schule!« brüllt der Junge da lauthals. »Nichts darf man hier! Alles ist verboten!«
Wie gestochen rennt er über den Schulhof zu den anderen, mischt dort drüben kräftig mit. Ein infernalischer Lärm herrscht um mich herum.

In der kleinen 11-Uhr-Pause bleiben wir oben im Klassenraum. Eine Mutter steckt den Kopf zur halbgeöffneten Klassenzimmertür herein. Ich stehe auf und gehe zu ihr, bleibe aber im Türrahmen stehen, damit ich die Kinder mit einem Auge beaufsichtigen kann. Es geht wieder einmal drunter und drüber. Diese fünfte Klasse ist eine Strafe Gottes für jeden Lehrer. Und ich muß es jeden Tag fünf Stunden mit den Kindern aushalten, weil wir in dieses alte Schulhaus ausgelagert sind. Das Schulzentrum selbst platzt aus allen Nähten.
Frau K. bittet darum, ihren Sohn Axel für einen Arzttermin am folgenden Tag zwei Stunden vor Unterrichtsschluß gehen zu lassen. Unvermittelt sagt sie: »Dieser Lärm!« Sie schüttelt den Kopf.
„Daß Sie das aushalten, Frau Pfeiffer."
Ich nicke und wundere mich insgeheim auch darüber.
»Scheiß-Schule!« sagt Frau K., schiebt aber schnell ein »Entschuldigung!« hinterher.
Da müssen wir beide lachen.

Karin Pfeiffer


 

 



Kommentare zu diesem Beitrag:
von Cornelia Schiller (26. April 2012, 17:31):
Michaels Verhalten ist recht typisch. Schüler sind heute zu wenig an ein "Nein!" gewöhnt und flippen leicht aus, wenn sie damit konfrontiert werden. Manche fassen es sogar als Abneigung gegen ihre Person auf und fühlen sich schwer beleidigt.
Zu viel zu erlauben hat seine Schattenseiten. Zu ihnen gehört eine gewisse Mimosenhaftigkeit. Wenn es dann hinaus ins eigene Leben geht, kann die erste Zeit ganz schön schwer werden. Dort wird nicht alles geschenkt und erlaubt.
 
von pfiffikus (27. April 2012, 10:08):
Einen fröhlichen Gruß in die Runde,

vielleicht sollte Frau Pfeiffer einmal sagen, aus welcher Zeit dieses Ereignis stammt.
Soweit ich informiert bin, arbeitet sie schon lange nicht mehr in der Schule. Also kann es sich nicht um eine aktuelle Schülerreaktion handeln.
Mir sagt dieses Beispiel nur, dass sich gewisse Verhaltensweisen von SchülerInnen über Generationen hinweg ähneln.

Es grüßt
pfiffikus
 
von Karin Pfeiffer (27. April 2012, 10:40):
Hallo, lieber pfiffikus,
genau das wollte ich mitteilen: daß sich doch recht wenig, ja nichts geändert hat seit den Achtzigerjahren, als ich an der Schule unterrichtete.
Vielleicht belegen heutige Schüler die Schule mit Ausdrücken, die sprachlich modern sind. Aber das Sch-Wort hat sicherlich nicht ausgedient, oder doch?
 
von pfiffikus (27. April 2012, 11:04):
Guten Tag Frau Pfeiffer-Stolz,

na, da bin ich ja richtig stolz, die "versteckte" Botschaft in Ihrem Text erkannt zu haben.
Sie schreiben jedoch auch von einer Mutter, der angesichts des Lärms in Ihrer Klasse dieses Sch-Wort herausrutschte.
Mich irritiert da nur am Rande die Reaktion der Mutter, als vielmehr der hohe Lärmpegel in Ihrer damaligen Klasse.
Nach meinen schulischen Erinnerungen an die 80er Jahre empfand ich die Arbeitsatmosphäre mit einem ganz geringen Geräuschpegel (damals konnten die Sch noch flüstern)im Vergleich zu heute als sehr angenehm.
Zum Beispiel arbeiteten über 30 Sch einer 10. RS-Klasse in Gruppen sehr konzentriert und ohne nennenswerte Störungen an einem Thema im Klassenarum.
Knapp 25 Jahre später war an Gruppenarbeit im Klassenraum nicht mehr zu denken. Maximal drei Gruppen konnten im Klassenraum verbleiben. Die anderen verteilte ich im Schulgebäude.
Frau Pfeiffer-Stolz, deshalb wundert es mich, dass Sie bereits in den 80er Jahren mit dem Lärmproblem kämpften.

Es grüßt
pfiffikus
 
von Karin Pfeiffer (27. April 2012, 12:36):
Lieber pfiffikus,
es war eine Hauptschulklasse - allerdings auch nicht die idealtypische. Im Sauerland, wo ich meine ersten Unterrichtserfahrungen sammelte, herrschte die von Ihnen beschriebene Ruhe, konnten die Schüler flüstern und taten es auch. Dann wurde ich ins Rheinland versetzt. Das neugebaute Schulzentrum in einem sozial schwierigen Umfeld war zu klein, und ich wurde mit einer fünften Klasse ausgelagert: die Kinder waren nach allen Regeln der Sozialkunst ausgesiebt, hatten also bereits vier Jahre Schulversagen hinter sich und waren nach damaligem Verständnis eher Sonderschüler; großer Ausländeranteil, desinteressiert, gewalttätig, im Großen und Ganzen unerziehbar ... frustriert ... Ich könnte dazu Geschichten erzählen und werde es eventuell auch noch tun. Ich habe täglich den Vormittag mit diesen Kindern verbracht. In diesem einen Jahr hätte ich, obwohl begeistert bei der Sache, fast kapituliert.
Was wollen Sie noch wissen?
 
von Steffi (27. April 2012, 14:56):
Ehrlich gesagt rutscht auch mir manchmal das Sch-Wort heraus, was meine Kinder jedes Mal zu lautstarkem, grinsenden Protest veranlasst, denn ihnen habe ich es verboten.
Das ist mir dann jedes Mal sehr peinlich und ich klopfe mir mächtig an die Brust. Meine Kinder haben ihren Spaß daran.
 
von Pfiffikussin (27. April 2012, 18:52):
Ich denke, dass eine Realschulklasse in den achziger Jahren (und wahrscheinlich auch noch heute) sehr viel unproblematischer war und ist als eine schwache Hauptschulklasse. Darum wundert mich im beschriebenen Fall der Lärmpegel nicht. Pfiffikus hat jedoch Recht mit der Feststellung, dass sich von damals bis heute das Schülerverhalten enorm verschlechtert hat.
 
von pfiffikus (28. April 2012, 11:20):
Ich grüße die Runde,

@Pfiffikussin (sehr originell)

Realschule verdiente es,in den 80er Jahren auch so bezeichnet zu werden. In heutigen RS-Klassen sitzt manchmal mehr als ein Drittel HS-Sch.
Das ist vor allem der Freigabe des Elternwillens geschuldet.

Es gibt Schulen, die den veränderten Bedingungen mit pädagogischen Konzepten begegnen.Dazu gehört für mich die RS Wedemark bei Hannover (www.realschule-wedemark.de).
Interessierten Leserinnen und Lesern empfehle ich, sich dort einmal umzusehen. Dort finden Sie ein sehr durchdachtes Schulprogramm, eine Schulcharta, die LehrerInnen, Eltern und SchülerInnen in die Pflicht nimmt, ein Leitbild sowie ein Beratungs- und Beschwerdekonzept. Weitere Stichpunkte sind Konfliktlösung, Lernpaten, Verkehrshelfer und eine Sozial-AG.
In dieser Schule werden alle Gruppen mit ihren kleinen und großen Sorgen offensichtlich nicht alleine gelassen.

Es grüßt
pfiffikus
 

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