Scheiß-Schule! Aus versicherungsrechtlichen Gründen ist es den Schülern verboten, sich in der Pause vom Schulhof zu entfernen, auch wenn es bloß ein paar Schritte sind. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist ein Metzgerladen, Magnet und ewige Versuchung für die hungrigen Buben und Mädchen auf dem Schulhof. In unserem alten Schulgebäude gibt es keine Kantine. Wer sein Pausenbrot zu Hause vergessen hat, muß hungern. Michael hat sich letzte Woche davongeschlichen und kam dann mit einer senfbestrichenen Bulette zurück. Herr Meier hat einen Tadel ins Klassenbuch eingetragen, ihn vor der Klasse zusammengeschissen und eine Stunde nachsitzen lassen. Heute unterrichtet Herr Meier am Schulzentrum, und in der 10-Uhr-Pause habe ich Aufsicht. Michael steht vor mir wie aus dem Schulhofpflaster gewachsen und deutet auf den Metzgerladen: »Ich lauf mal eben rüber und hol mir eine Frikadelle, okay?« Dabei zwinkert er mir zu, ein kleines Geheimnis, das wir uns teilen sollen, ganz ohne Herrn Meier. So gern ich es möchte, aber ich darf mich nicht mit dem hungrigen Michael verbünden. »Du weißt doch, daß das verboten ist!« sage ich und schaue ihn mitfühlend an. »Ich bin sofort wieder zurück, keiner sieht es. Bitte, lassen Sie mich gehen!« »Nein, du bleibst da.« »Scheiß-Schule!« brüllt der Junge da lauthals. »Nichts darf man hier! Alles ist verboten!« Wie gestochen rennt er über den Schulhof zu den anderen, mischt dort drüben kräftig mit. Ein infernalischer Lärm herrscht um mich herum. In der kleinen 11-Uhr-Pause bleiben wir oben im Klassenraum. Eine Mutter steckt den Kopf zur halbgeöffneten Klassenzimmertür herein. Ich stehe auf und gehe zu ihr, bleibe aber im Türrahmen stehen, damit ich die Kinder mit einem Auge beaufsichtigen kann. Es geht wieder einmal drunter und drüber. Diese fünfte Klasse ist eine Strafe Gottes für jeden Lehrer. Und ich muß es jeden Tag fünf Stunden mit den Kindern aushalten, weil wir in dieses alte Schulhaus ausgelagert sind. Das Schulzentrum selbst platzt aus allen Nähten. Frau K. bittet darum, ihren Sohn Axel für einen Arzttermin am folgenden Tag zwei Stunden vor Unterrichtsschluß gehen zu lassen. Unvermittelt sagt sie: »Dieser Lärm!« Sie schüttelt den Kopf. „Daß Sie das aushalten, Frau Pfeiffer." Ich nicke und wundere mich insgeheim auch darüber. »Scheiß-Schule!« sagt Frau K., schiebt aber schnell ein »Entschuldigung!« hinterher. Da müssen wir beide lachen. Karin Pfeiffer |