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Schrift ist nicht zum Schreiben da

 
12. September 2013
Schrift ist nicht zum Schreiben da
Kategorie: Besser lernen
 Die Rechtschreib- und Grammatikleistungen der Grundschüler haben sich in den letzten Jahren deutlich verschlechtert. Soweit das Ergebnis einer aktuellen Längsschnittstudie, durchgeführt vom Siegener Germanistikprofessor Wolfgang Steinig. Der Bayerische Philologenverband fordert nun einen besseren Deutschunterricht in der Grundschule. Freies Schreiben solle nur noch in Verbindung mit stringentem Rechtschreibunterricht praktiziert werden. Also Schluss mit lustig? Jetzt einmal ehrlich: macht das Herumkritzeln mit geballter Schreibpfote den Erstklasskindern wirklich solchen Spaß, wie stets behauptet wird? Was beim Verschriften mit Anlauttabellen herauskommt, sieht doch irgendwie recht kläglich aus. Glauben wir etwa, dass Kinder das nicht selbst bemerken?
Schrift ist nicht zum Schreiben, sondern zum Lesen da. Bei oberflächlichem Lesen mag dieser Satz paradox klingen, doch wer darüber nachdenkt, dem wird es wie Schuppen von den Augen fallen. Schrift, die nur mühsam oder gar nicht gelesen werden kann, welchen Nutzen sollte die haben? Keinen. Na also. Sie ist unbrauchbar wie ein Regenschirm ohne Dach oder Schuhe ohne Sohlen.
Der soziale Charakter der Schrift dient dem mittelbaren Gedankenaustausch über Raum und Zeit hinweg. Wer die Briefe seines seligen Großvaters lesen möchte, kann ihn nicht zu unleserlichen Wörtern befragen. Wenn Lehrer mit unendlicher Geduld die Hieroglyphen ihrer Schreibschüler zu entziffern versuchen, sind Rückfragen notwendig. Gleichwohl folgt die Anerkennung: „Das hast du gut gemacht!“ Wird der gelobte Schüler sich nicht insgeheim veräppelt fühlen?
Die ganze Verantwortung für die Alphabetisierung unserer Nachkommen lastet seit Einführung der Schulpflicht auf der Grundschule. Kommt diese ihrer Verpflichtung nach? O ja, der Stundenplan ist überfrachtet, ich weiß. Was aber ist wichtiger: Kulturtechniken zu vermitteln oder über den Klimawandel zu diskutieren? So manche Trendthemen übersteigen den geistigen Horizont von Grundschulkindern, sind also vertane Zeit.
Zurück zum Thema. Spaß muss sein. Spaß am Schreiben auch. Leider steht dabei die Norm im Wege. Also muss die Norm dran glauben. Die heitere Beliebigkeit, mit der anfangs frisch drauflosgeschrieben wird, weicht in höheren Schuljahren dem blanken Entsetzen, zuerst bei den Eltern, dann bei den Kindern. Plötzlich ist es aus mit dem Spaßhaben. Was ist da passiert? Wir sind dabei, die Schriftkultur zu vernachlässigen, wobei die neue Kommunikationstechnik eine beachtliche Rolle spielt. Der bewusste Verzicht, unseren Nachkommen die Grundlagen der genormten Schriftsprache zu vermitteln, bleibt indes ein gewagtes Experiment.
Schrift ist zum Lesen da, nicht zum Schreiben. Aufsätze schreiben soll das Schulkind nicht „von Anfang an“, sondern erst dann, wenn es das Handwerkszeug dazu beherrscht: die Schrift. Diese gilt es als erstes zu lernen. Liebe LuL (so heißt es doch jetzt famos pc-korrekt und dennoch platzsparend), üben Sie sich nicht nur in Fleiß, sondern vor allem in Geduld. Und dies von Anfang an!
 
 

Karin Pfeiffer


 

 

 




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