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Der Zeitaspekt in der Pädagogik

 
21. Februar 2013
Der Zeitaspekt in der Pädagogik
Kategorie: Besser lernen
   
 Stören und Trödeln
von Karin Pfeiffer

 
 

Wer keine Zeit hat, ist ärmer als der ärmste Bettler.
(Volksmund)

Kleine Kinder wehren sich heftig, wenn sie unter das Diktat der Stundenpläne gezwungen werden. Sie leben nach der „natürlichen Uhr“, und diese tickt im Einklang mit dem kosmischen Rhythmus, dem alles Lebendige unterworfen ist. Die künstliche Zeit, der wir Erwachsenen folgen, greift schmerzhaft in unsere echten Bedürfnisse ein und verformt unser Wollen. Dauerhektik kann geistig und körperlich krank machen.

Kinder besitzen ein natürliches Zeitempfinden, und danach richten sie sich instinktiv. Der von außen auf sie ausgeübte Zeitdruck führt schließlich dazu, daß sich die meisten von ihnen klaglos fügen und sich im starren Korsett der arbeitsteiligen Gesellschaft einrichten.

Das Training für ein Leben nach der Uhrzeit beginnt heute immer früher. Spätestens dann, wenn das Kind in fremde Obhut gegeben wird, weil die Mutter einer außerhäuslichen Erwerbsarbeit nachgehen muß, regiert unerbittlich die Uhr. Das Kindergartenkind ist bereits Opfer strenger Zeiteinteilung, und dies bedeutet: Beschleunigung aller Lebensvorgänge, keine Zeit zum Verweilen, Eile, Hektik – Ausnahmen sind selten, denn auch Freizeit und Urlaub sind minutiös mit Aktivitäten ausgefüllt, man will ja nichts versäumen. Asyl bekommt nur das kranke Kind. In allen Industrieländern der Erde ist dasselbe zu beobachten: Die Refugien der Ruhe und Selbstbesinnung schwinden dahin.

Gewaltloser Widerstand: Trödeln

Nicht alle Kinder lassen diese Zumutung wehrlos über sich ergehen. Die individuellen Strategien zur Abwehr zeitlicher Fremdbestimmung sind vielfältig. Manche Kinder reagieren aufsässig, werden aggressiv, zappelig, sind laut und ungehorsam. Andere Kinder wählen weniger spektakuläre Methoden. Sie stellen sich taub oder dumm, reagieren lustlos und werden träge. »Weiche Waffen« im Ringen um individuelle Zeitautonomie sind gewohnheitsmäßiges Zuspätkommen und allgemeine Unaufmerksamkeit. Eine besonders wirksame Gegenwehr aber ist das Trödeln. Trödelnde Kinder bringen Mütter zur Verzweiflung, trödelnde Schüler stellen die Geduld des Lehrers auf die Probe. Trödeln ist eine Art gewaltloser Widerstand, dem Erwachsene meist nichts anderes entgegenzusetzen haben als Schimpfen, Drohen und Nörgeln.

Nonkonformes Verhalten stört, ist unbequem und deshalb für Eltern und Lehrer ein Ärgernis. Man sollte es sich als Erwachsener nicht zu leicht machen und störende Kinder in die Schubladen „krank“, „charakterschwach“ oder „dumm“ einordnen. Vielfach sind es gerade sensible und kluge Kinder, welche sich gegen die ubiquitäre Alltagshetze mitsamt der unvermeidlichen Oberflächlichkeit, Gleichgültigkeit, ja Lieblosigkeit auflehnen. Die Masseninstitution Schule verlangt nun einmal Gleichschritt und Gehorsam, eine systemimmanente Notwendigkeit. Hier gibt es kaum etwas zu reformieren. Allerdings liegt es in der Hand eines jeden Verantwortlichen, kleine Refugien des Trostes und der Hilfe einzurichten. Diese Freiheit kann ihnen kein Gesetz und keine bürokratische Vorschrift nehmen.

Nischen der Ruhe einrichten

Ja, auch in der Schule gibt es Nischen, wo die Herrschaft der Uhr zeitweilig gebrochen werden kann. Körper und Geist bedürfen dringend der Pausen. Auf den Stundenplänen der „alten“ Schule war das Ruheprinzip bereits eingebaut: Musik, Kunst, Leibesübungen durchbrachen den Vormittag. Im Unterricht selbst gab es ebenfalls Ruhephasen, in denen einfach nur geschrieben oder gezeichnet wurde.

Niemand von uns verfügt über die Macht, das System als solches ändern, aber jedem einzelnen Lehrer kann es gelingen, im eigenen Umfeld Ruhepole zu schaffen — für sich selbst und für die Schüler. Generalrezepte dafür gibt es nicht, hier sind Eigeninitiative, Mut und Phantasie gefragt.

 
   



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