| Die älteren Lehrer werden sich noch gut an die Mengenlehre erinnern, die in den Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts in die Lehrpläne der Schulen Eingang fand. Diese »Neue Mathematik« funktionierte nicht, hat Lehrer ins Schwitzen gebracht und für heillose Verwirrung bei etlichen Schülergenerationen gesorgt. Der Mißerfolg des Projekts Mengenlehre hat leider nicht zu mehr Besonnenheit bei den Lehrplanmachern geführt. Bis zum heutigen Tage wird versucht, das curriculare und methodische Rad neu zu erfinden — sei es im Schulfach Deutsch oder Mathematik. Die politisch engagierten Erfinder neuer Methoden scheuen leider nicht vor mutwilligen (und wie sich nachträglich stets zeigt — undurchdachten) Eingriffen in Kulturgüter zurück. Dabei wird regelmäßig ein kaum mehr gutzumachender Flurschaden angerichtet — so wie bei der »Rechtschreibreform«, die den Verfall der einheitlichen Orthographie eingeleitet hat. Den jüngsten Angriff auf ein fundamentales Kulturgut startet zur Zeit der kommerziell ausgerichtete, in Frankfurt am Main ansässige Grundschulverband. Seine politisch gut vernetzten Protagonisten stehen hinter der Initiative, die Schreibschrift ganz abzuschaffen — denn darauf läuft es hinaus, wenn eines nicht allzu fernen Tages bundesweit kein Unterricht mehr in dieser Kulturtechnik erteilt wird. In der Mathematik haben die sogenannten entdeckenden Rechenverfahren dafür gesorgt, daß immer weniger Studenten fähig sind, ein anspruchsvolles Studium in naturwissenschaftlichen Fächern erfolgreich zu beenden. Einer der Grundfehler der Schuldidaktik ist die Vernachlässigung des schematischen Übens. Die Automatisierung fundamentaler Algorithmen ist zum Erlernen der Grundrechenarten Voraussetzung. Ohne diese Fähigkeit sind Schüler später kaum in der Lage, komplizierte Rechenverfahren durchführen zu können. Im nachahmenden Üben einen schädlichen Drill erkennen zu wollen, ist ein dramatischer Irrtum, für den die Schüler bezahlen.
Seit etwa zehn Jahren wird an den bayerischen Grundschulen eine umständliche Subtraktionsmethode gelehrt. Das sogenannte Abzieh- oder Entbündelungsverfahren soll angeblich das Verständnis für die Rechenoperation fördern. Die Praxis zeigt, daß eher das Gegenteil zutrifft. Jeder Lernprozeß beginnt mit Nachahmen. Erst wenn die Automatisierung im Tun geistige Potenzen freisetzt, ist der Lernende zur theoretischen Durchdringung des Lernstoffes fähig. Zuerst das HANDwerk, dann das KOPFwerk, nicht umgekehrt! Langatmige Erklärungen oder der Hinweis »Das sollst du selbst herausfinden!« sind Zeitverschwendung und führen zu Frustration auf seiten der Schüler. Als erdgebundenes Sinneswesen kann der Mensch nun einmal nur das verstehen, was er praktisch handelnd erfährt. Das gilt für alle Kulturtechniken gleichermaßen: Schreiben und Rechnen müssen nachahmend eingeübt werden. Man zäumt das Pferd nicht von hinten auf. Rechenregeln können im schulischen Unterricht nicht entdeckt, sondern müssen schematisch eintrainiert werden! Der zeitliche Mehraufwand für umständliche entdeckende Lernverfahren steht in keinem Verhältnis zum Ergebnis. Lesen Sie den folgenden aktuellen Beitrag von Martina Scherf in Süddeutsche.de. P.S. Eine Gewissensfrage für den engagierten Lehrer (und natürlich auch die Lehrerin ☺): Wer oder was hindert Sie eigentlich daran, schon vor dem Jahr 2015 (wenn die Lehrplanrevision ansteht) die als untauglich erkannte Lehrmethode in Mathematik einfach über Bord zu werfen? Professionelle Autorität macht Eindruck. Nicht nur »unten«, sondern gerade auch »oben«! Unterricht ist für die Kinder da, nicht für die Schreibtischtäter in der Schulbehörde.
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