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Newsletter Nr. 29 – Februar 2009

 
28. März 2009
Newsletter Nr. 29 – Februar 2009
Kategorie: Newslettertexte
Zu schnell gefahren? Der Tacho ist schuld!

Von Ursachen und Symptomen und der Gewohnheit, beides zu vertauschen

Seit Winnenden wird wieder einmal nachgedacht, ob auch Drogen bei Gewalttaten eine Rolle spielen könnten. Millionen Kinder und Jugendlicher schlucken heute mehr oder minder regelmäßig Drogen, ganz »legal«: diese werden vom Arzt verordnet und strategisch eingesetzt zur medikamentösen Behandlung einer Zivilisationserscheinung mit der sperrigen Abkürzung ADHS. Welchen direkten und indirekten Einfluß nehmen chemische Stoffe auf Verhalten und Handeln des Menschen? Ist die Bereitschaft zur Gewalttätigkeit nicht unabhängig von chemischen Einflüssen bereits latent vorhanden? Ein Mensch, der unter Einwirkung von Drogen aus eigenem Antrieb in wilder Rage tötet, hat schon lange Zeit zuvor gravierende Probleme mit sich herumgetragen.

Nichts kommt aus dem Nichts

Die Hälfte der Welt ist für das Auge unsichtbar. Wenn ein Ereignis oder Verhalten sichtbar in Erscheinung tritt, so hat sich dieses lange Zeit im Verborgenen vorbereitet. Die ersten Blattspitzen, die nach dem Winter aus der Erde sprießen, sind nicht in diesem Moment entstanden. Für unser Auge unsichtbar haben die Triebe sich seit Monaten für jenen Augenblick vorbereitet. Will sagen: auffälliges Verhalten von Kindern und Jugendlichen kann man nicht mit momentanem Streß, Liebeskummer oder Schulversagen erklären. Es hat eine Wurzel, die tief in die Vergangenheit zurückreicht und sämtliche Lebensumstände umfaßt. Schnellerklärungen bleiben notwendigerweise an der Oberfläche.
Sensationspresse und Mainstream-Medien beschränken sich auf das, was offen zutage liegt. Hier kommt es regelmäßig zu einer Verwechslung von Ursache und Wirkung. Wo jedoch keine richtige Diagnose gestellt wird, kann auch keine richtige Behandlung stattfinden. Kosmetische Korrekturen, schärfere Gesetze oder mehr Überwachung gehen deshalb am Problem vorbei.

Das Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom

Nähern wir uns dem Problem von einer anderen Seite. Viele unserer Kinder sind nicht mehr in der Lage, sich über einen längeren Zeitraum hinweg zu konzentrieren. Sie sind zappelig, ungeduldig, ungeschickt und machen immer wieder dieselben Fehler. Solche Verhaltensweisen und Eigenschaften sind geradezu das Gegenteil dessen, was für das Lernen in der Schule Voraussetzung wäre. Ohne Selbstbeherrschung, ruhiges Verharren und Betrachten kann der Mensch grundsätzlich nichts Neues aufnehmen und verarbeiten. Lernstörungen nennen das die Psychologen. Und sie bezeichnen Lernstörungen als Ursache für Schulversagen. Lernstörungen aber sind ein Symptom, und es ist unsere Aufgabe, nach der unsichtbaren Ursache für Schulversagen oder unangepaßtes Benehmen zu forschen, damit eine Korrektur erfolgen kann. Unsere Kinder verhalten sich logisch und zweckmäßig: im Einklang mit den Lebensgesetzen passen sie sich an! Folgerichtig reagieren sie auf die Zumutungen einer lauten, hektischen, oberflächlichen, theoretisierenden, coolgestylten Umgebung. Sie haben gar keine andere Wahl, weil sie nichts anderes kennen. Die an den Kindern verzweifelnden Erwachsenen greifen in ihrer Not zu einem Rettungsanker, der Erklärung durch Krankheit. Sie verhalten sich damit nicht anders als ein Autofahrer, der schnell fahren will und zu diesem Zwecke den Tacho zertrümmert, weil er in diesem Gerät die Ursache für seine Tempoüberschreitungen erkannt haben will.   

Gut gemeint, aber trotzdem verheerend

Ein Kind, dem die Diagnose ADHS angeheftet wird, wird in seiner Würde verletzt. Das Etikett »Krankheit« haftet lebenslang. Als Außenseiter muß der »Patient« fortan mit einem Stigma leben. Der Verdacht drängt sich auf, daß dies deshalb geschieht, weil ein störendes und ungehorsames Kind die Umgebung entsetzlich nerven kann. Natürlich drängt die prekäre Situation für Erwachsene nach einem Ausweg. Doch sollte dieser Ausweg nicht zusätzlich Schaden anrichten. Die Beruhigung des gesellschaftlichen Gewissens wird teuer erkauft. Die Diagnose ADHS macht das Kind zum Dauerpatienten, nimmt ihm die Eigenverantwortung und macht es obendrein noch beratungs- und medikamentenabhängig: ein glänzendes Geschäft, von dem zahlreiche Personen und Institutionen profitieren. Die Tragik ist, daß die meisten Erwachsenen in bestem Glauben und ohne jede böse Absicht handeln — an ihre Adresse richte ich meine Zeilen und hoffe, ein gewisses Nachdenken zu bewirken. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß wir nicht Ursachen bekämpfen, sondern Symptome beseitigen. Symptome, die darauf hinweisen, welche Gefahren sich im Verborgenen entwickeln. Winnenden ist nur die spektakuläre Spitze eines Eisberges.

Gebraucht statt abgeschoben werden

Was ist zu tun? Wir alle haben als Einzelpersonen wenig Einfluß auf den Gang der Dinge — und doch: jede evolutionäre Entwicklung nimmt ihren Weg vom Kleinen zum Großen. Es kommt nun viel darauf an, wie wir unser Leben mit Kindern gestalten. Wichtig sind die täglich ausgeschickten, kleinen Signale, die auf das Zusammenleben wirken wie homöopathische Dosen. Kinder sind sehr empfänglich für atmosphärische Botschaften. Sie können gut unterscheiden zwischen Ehrlichkeit und Heuchelei, Doppelbotschaften werden flugs entlarvt. Kinder bilden sich bald ihre eigene Meinung, und sie empfinden im negativen Umfeld rasch, daß sie lästig, unerwünscht, ohne echte Lebensaufgabe ins Kollektiv abgeschoben werden.

Aufgabe des Schulkindes: Lernen

Die Lebensaufgabe der Kinder ist in unserer Gesellschaft das Lernen. Die dominierende Spiel- und Unterhaltungspädagogik bereitet dem Kind auf lange Sicht keine Freude, weil bloßer lustbetonter Aktivismus ihm zu Recht als sinnlos erscheinen muß. Jedes Kind will etwas Ernsthaftes leisten, auch wenn es sich zuweilen gegen Anstrengung auflehnen mag. Dies gehört zum Spiel: Wo kein Widerstand, da kein Sinn. Daß Kinder plötzlich wie ausgewechselt sein können, wenn es in der Schule große Aufgaben und Herausforderungen zu bewältigen gilt, werden schon die meisten Lehrer erlebt haben.
»Mein Lehrer war streng, aber gerecht!« Noch Jahrzehnte später hört man solches Lob. Streng und gerecht heißt: in der Sache selbst hart, menschlich aber fair und teilnahmsvoll. Das ist nicht veraltet, sondern modern! So modern, daß es in weiten Bereichen noch seiner Verwirklichung harrt.

Aufgaben, Ziele, Lebensfreude: nicht isolieren, sondern ins Leben führen!

Viel zu viele Kinder entbehren heute des Gefühls, gebraucht und gewollt zu sein. Schauen wir einmal die Kindheit mit neuen Augen an! Die lärmenden Horden in Massenschulen — eine Parallelwelt, völlig getrennt vom Leben der Erwachsenen. Kindern bleibt nichts anderes übrig, als sich an Gleichaltrigen zu orientieren. Diese aber können nicht den ersehnten Halt geben, da sie doch selber des Halts entbehren. Kinder brauchen gemischte Kleingruppen, sie brauchen Erwachsene, sie bedürfen der geschützten Räume ebenso wie der freien für eigenständige Entdeckungen. Wer kann ihnen Trost geben, wenn nicht vertraute Erwachsene, wenn nach unvermeidlichen Niederlagen des Lebens der Mut tief gesunken ist? Wie können Eltern diese Rolle spielen, da sie selbst in einen atemlosen Lebenskampf verstrickt, die meiste Zeit ihres Arbeitsdaseins außer Haus verbringen müssen?
Hier nun liegt ein weites Feld für gesellschaftspolitische Forderungen. Familien müssen wieder finanziell autonom werden, was nur über eine Minderbelastung durch Steuern und Abgaben möglich ist. Allein in der gegliederten Struktur einer Familie findet das Kind Ruhe und Stille. Gemeinsame Mahlzeiten sind nicht für die körperliche Gesundheit Voraussetzung, sondern geben auch seelische Stabilität. Allein in der Familie kann der natürliche Rhythmus gelebt werden, der bei jedem Kind, bei jedem Erwachsenen anders ist. Fernsehen, Internet, oder Handy sind aus unserer Gesellschaft nicht mehr fortzudenken, aber sie bekommen nur dort einen übertriebenen und schädigenden Stellenwert, wo das Lebensumfeld eines Kindes mangelhaft ist.

Reden hilft nicht, Erklären nicht, Drohen nicht, Bitten nicht. Sparen wir uns die Worte und erlauben wir den Kindern die aktive Teilhabe und Mitwirkung an unserem und ihrem eigenen Leben. Das Leben selbst ist nämlich der größte Lehrherr, es wirkt disziplinierend und spornt zu Leistungen an. Kollektive Unterhaltungs- und Spaßangebote sind kein Ersatz für das echte Leben. Kinder fühlen das. Der Mensch — auch der kleine — will etwas zum Dasein beitragen.

Karin Pfeiffer

Diskussion: hier

Hier ist ein Link zu einer Gedankensammlung. Sie können diese Liste ausdrucken und nach eigenem Gusto ändern oder ergänzen. Möge sie als Gesprächsgrundlage für eine Konferenz oder ein Treffen mit Eltern dienen. Jede Veränderung zum Guten beginnt mit kleinen Schritten. 

 

 

Wir neigen dazu, Ereignisse vorschnell nach dem zu beurteilen, was sofort ins Auge springt.


 

 

 

 

 

 

 

Was schließlich sichtbar wird, hat sich lange im Verborgenen vorbereitet.


 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Diagnose ADHS nimmt dem Kind die Eigenverantwortung und macht es zum Dauerpatienten. 


 

 

 

 

 

 

 

Niemand braucht mich ...

... wozu bin ich auf der Welt?


 

 

 

 

 

 

 

Wer tröstet und hilft, wenn das Leben unvermeidliche Niederlagen bereitet?


 

     
 
 
Diskussion: siehe hier»»
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