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Extra-Njuuslätta Nr. 21 – Februar 2009

 
03. Februar 2009
Extra-Njuuslätta Nr. 21 – Februar 2009
Kategorie: Newslettertexte

 

Fehlerwörter üben
eine »löchrige« Geschichte

Liebe Lehrer! Liebe Eltern!
In einer Zeitschrift für Pädagogik ist folgende Aussage zu lesen:

»Zum Einüben der Rechtschreibung kann man sich auf solche Wörter konzentrieren, die die Kinder immer wieder falsch schreiben. Eine gute Strategie ist es, vornehmlich diejenigen fehleranfälligen Wörter einzuüben, die in Diktaten und Aufsätzen besonders oft vorkommen.«

Klingt überzeugend einfach. Ist vor allem einfach durchzuführen, so wie man den Vorgaben für ein Kochrezept folgt: Man nehme ...
Klingt absolut schlüssig! Man greife sich die Fehlerwörter — nichts anderes als die Fehlerwörter — aus dem Textband heraus, packe sie am Schopf, schüttele sie kräftig und drohe ihnen mit pädagogischer Inbrunst: »Du, du! Jetzt zeige ich dir, wie man sich korrekt abbildet!«
Die richtiggeschriebenen Wörter, aus deren Reihen die Bösewichte so gewaltsam herausgerissen werden, ducken sich erschrocken weg. Sie verkriechen sich in die hintersten Buchecken und Heftritzen, damit keiner sie nun zu Gesicht bekäme.

Na also, geht doch!
Die von ihren Genossen isolierten Wörter stehen allein und verlassen da, zerknirschten Sünderlein gleich. Widerstandslos fügen sie sich in ihre richtige Form, während der Schüler sie niederschreibt. Verloren blicken sie von der Mitte leerer Karteikarten zu uns heraus. Willig fügen sie sich in Spalten und Tabellen ein. Sie protestieren niemals, wenn sie mehrmals hintereinander aufgestellt werden. Einer Kamelkarawane gleich ziehen sie durch den weißen Sand des papierenen Nichts. Großes Aufatmen und unverständiges Kopfschütteln bei Eltern und Lehrern: »Na also, geht doch! Und wieso ging es bisher nicht?«

Die Geschichte von den Löchern
Fehlerwörter üben! Dem geduldigen Leser erzähle ich nun eine kleine Parabel.
Eine Frau will eine Reise machen. Während der langen Fahrt möchte sie etwas Sinnvolles tun. So beschließt sie, unterwegs die Löcher in Hosen und Strümpfen ihrer Kinder zu stopfen. Da im Koffer kein Platz mehr ist, überlegt sie, welches Gepäckstück für die Stopfwäsche mitzunehmen sei. Während sie halblaut grübelt, macht der Mann einen Vorschlag: »Was brauchst du denn das ganze Stoffdrumherum mitzunehmen? Es sind doch nur die Löcher, die du stopfen willst mit Garn. Wenn du bloß Garn und Löcher mitnimmst, brauchst du keine zweite Tasche."
Gesagt, getan. Auf der Reise fertigt die Frau nun kreisrunde und ovale Flicken, das ist ganz einfach. Rasch ist die entsprechende Anzahl von Flicken fertiggestellt! Am Reiseziel telefoniert sie sogleich mit dem Mann: »Die Flicken sind fertig! Sag den Kindern, sie können die Sachen wieder anziehen.«
Hier endet die löchrige Geschichte. Oder auch nicht. Die klugen Kinder, wenn sie denn zugehört haben sollten, fragen jetzt: »Was ist denn ein Loch? Ein Nichts? Bloße Luft?« Gute Frage! Sollte etwa das Loch dem Wesen nach eine Erscheinung sein, die ohne seine materielle Umgebung gar nicht vorhanden wäre? Ein Nichts, das sich sinngemäß nur aus seiner Umgebung heraus definiert? Und jetzt kommen wir zur Sache, dem Üben der Rechtschreibung vermittels Fehlerwörter.

Das Geheimnis der Sprache
Jedes Wort hat eine Familie. Aus dem Sinnzusammenhang gerissen und mehrmals zusammenhanglos vor sich hingemurmelt, verwandelt es sich unversehens zu etwas Unbekanntem. Das vagabundierende Wort klingt unseren Ohren fremd, ist nur noch Ton, ist nur noch Laut. Hierbei offenbart sich uns das Geheimnis der Sprache: Wörter entfalten ihre Aussagekraft und ihren Charakter ausnahmslos im Zusammenhang mit den sie umgebenden Wörtern. Dies gilt mehr noch für die Schrift als für das gesprochene Wort, wo das Handeln den Sinnrahmen vorgibt oder ergänzt.

Nur die Ochsen büffeln
Wörter der Schriftsprache kränkeln und verblassen, sobald wir sie von ihren Brüdern und Schwestern trennen. Kein kluger Pädagoge wird je auf die Idee kommen, sinnlose Kombinationen von Ziffern- und Buchstabenfolgen zum Auswendiglernen vorzugeben. »Der Mensch soll lernen, nur die Ochsen büffeln« hat schon Erich Kästner über die mechanistische Auffassung der Pädagogik gespottet. Das Üben von isolierten Wörtern ist Unsinn. Sollte es überhaupt einen positiven Effekt besitzen, so den, dass Gedächtniskraft und Konzentrationsfähigkeit gestärkt werden. Das aber tut sinnhaftes Schreiben zusammenhängender Texte auch.

Wir üben das, was gelernt werden soll
Das Kind soll lernen, ganze Texte richtig zu schreiben. Also müssen die Wörter, aus denen Texte nun einmal bestehen, auch im Sinnzusammenhang geübt werden.
Es ist in Mode gekommen, Fehlerwörtern mit Hilfe von Karteien, Tabellen, Lückentexten und ähnlichen Tricks unvermittelt zu Leibe rücken zu wollen. Das ist Löcherstopfen ohne Strümpfe. Und nun passiert folgendes: Beim Aufsatzschreiben oder im Diktat werden jene fleißig trainierten Wörter wiederum falsch geschrieben. Nun sind alle bitter enttäuscht: die Erwachsenen nicht minder als das Kind selbst.
Ja soll denn das wochenlange Einüben von Fehlerwörtern Zeitvergeudung gewesen sein? Oder ist das Kind etwa ... nein! Ersparen wir dem Kind die Vorwürfe, es kann nichts dafür!
Das Üben von Einzelwörtern ist gelegentlich vorteilhaft, wenn beim Schreiben von zusammenhängenden Sätzen oder Texten besondere Aufmerksamkeit auf ebendiese gelenkt werden soll. Anschließend muss man sie wieder zurückstellen in den Sinnrahmen. Am Ende einer Übung mit isolierten Wörtern stehe ohne Ausnahme das zusammenhängende Schreiben von Sätzen oder Texten!

Gern tut »mensch« nur, was er kann
Werfen wir abschließend noch einen Blick auf die seelische Befindlichkeit eines Schülers. Aus dem Blickwinkel der Lernpsychologie betrachtet, wirkt die geballte Konfrontation mit Schwierigkeiten auf jeden Menschen ausgesprochen bedrückend, denn nun unterlaufen ihm unerträglich viele Fehler. Ein Lernender, der ständig eigenes Unvermögen erleben muss, verkrampft, wird unsicher und unmutig. Wer hätte diese Erfahrung nicht an sich selbst gemacht? Nur Masochisten tun freiwillig und mit Fleiß ausschließlich das, was ihnen schwerfällt und daher nicht gelingt! Misserfolge ärgern, kränken und lähmen die Antriebskraft. Misserfolge verschütten die Neugierde und somit die Freude am Lernen. Gern tut der Mensch nur das, was er kann!

Erfolge beflügeln
Das lernende Kind bedarf dringend der Erfolge, um die inneren Widerstände zum Weiterlernen überwinden zu können. Je schwerer sich das Kind tut, desto mehr kleine Erfolge benötigt es. Lernerfolg ist, wenn etwas leicht gelingt. Deshalb wird beim Üben der Rechtschreibung immer auch die »leichte« Umgebung mitgeübt. Und in den Fluss des Einfachen hinein — und nur dorthin! — streut der kluge Pädagoge, vorsichtig dosiert, einige Schwierigkeiten. Alles Neue und Schwere wird hingegen eingebettet in das Bekannte und bereits Gekonnte. Auf diese Weise sollte kein Kind auf ganzer Linie versagen. Nach dreißig sicheren Schritten wird es gewiss nicht verzweifeln, wenn es wider Erwarten beim einunddreißigsten stolpert. Durch Teilerfolge mutig geworden, ruft es »Hoppla!« und fasst den »Stolperstein« scharf ins Auge. Dann hüpft es unbekümmert darüber hinweg. Dies sind die Funken der Freude, die allen glücklichen Kindern innewohnt!

Der Preis: Zeit für das Lernen
Freilich geht es nur, wenn wir uns Zeit nehmen. Sobald wir uns für diesen Weg entschieden haben, halten wir beharrlich und unbeirrt am Ziel fest, denn Gutes wächst nun einmal langsam. Es sind lediglich die Katastrophen, die rasch über uns hereinbrechen. Alles andere braucht seine Zeit. Haben uns die offensichtlichen Misserfolge noch immer nicht zu verstehen gegeben, dass der Lernweg unserer Kinder nicht folgenlos abgekürzt werden darf? Indem wir mangels Geduld vorschnell die ganze Last der Schwierigkeiten und Stolpersteine auf kurzen Wegstücken ausstreuen, müssen wir uns nicht wundern, wenn Socken und Hosen nicht nur löchrig bleiben, sondern Anzahl und Durchmesser der Löcher im Laufe der Zeit sogar noch anwachsen.

Karin Pfeiffer

 

 



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