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Smartphone, Handy und Co.

 
12. Juni 2012
Smartphone, Handy und Co.
Kategorie: Schriftkultur
Wenn wir nicht mehr direkt miteinander kommunizieren ...

Keine Frage, die modernen Medien verändern unsere Kommunikationskultur. Niemand könnte jedoch heute schon sagen, mit welchen konkreten Auswirkungen wir es in etlichen Jahren zu tun haben werden. Eins ist klar: das direkte Gespräch zwischen Menschen ist grundsätzlich anders, als wenn ein technisches Mittel dazwischensteht. Denn neben der hörbaren Sprache gibt es auch eine sichtbare: die Körpersprache. Auch das Schweigen gehört zum direkten Gespräch und ist beredt. Anders beim Telefonieren. Schweigt ein Teilnehmer am anderen Ende, dann führt das zur irritierten Frage des anderen: »Hallo, bist du noch dran?« Das Handy trägt auch zur Geschwätzigkeit bei, wie man in der Öffentlichkeit leicht beobachten kann. Keine Banalität, die nicht über den Äther mitgeteilt würde.
Der Medienforscher Heinz Buddemeier erklärt*, weshalb sich durch das Telefonieren grundsätzliche Veränderungen des Hörens und Sprechens einstellen. »Beim Telefonieren gewöhnt man sich an ein Sprechen und Hören, dessen Ausrichtung auf den Gesprächspartner zumindest gelockert ist ... weil Mikrofon und Lautsprecher das Geistig-Seelische gar nicht durchlassen. In dem Maße, wie Menschen sich an so etwas gewöhnen, beginnen sie, die Fähigkeiten, die beim Telefonieren nicht in Anspruch genommen werden, zu vernachlässigen. Das hat auch Auswirkungen auf die Qualität des direkten Sprechens und Hörens.« (S. 89) Das Mobiltelefon zerstört außerdem die Ortung — der Sprechende ist überall und nirgends, es unterhalten sich zwei Phantome. Außerdem trägt das Handy »auch zu der Neigung bei, alles möglichst gleichzeitig zu tun und sich auf nichts wirklich zu konzentrieren. Ganz offensichtlich schwächt es auch die Verbindung zu dem Ort, an dem man sich leibhaftig befindet. Wo ist eigentlich jemand, der mit Freunden am Tisch sitzt und dabei mit Hilfe eines Handys telefoniert?« (S. 93)
Und dann wäre da noch das Internet und seine zahllosen Möglichkeiten, sich mit anderen Personen auszutauschen ... ein unerschöpfliches Thema.

Wenn Jugendliche unkonzentriert sind, nicht zuhören können, zunehmend vergeßlich werden und unzuverlässig sind in ihren Abmachungen, dann könnte dies zum Teil auch durch die neuen Medien verursacht sein. Und wie wirkt sich das auf das schulische Lernen aus? Ich halte es für einen Fehler, auch im Unterricht zunehmend auf die Vermittlung von Lernstoff durch technische Medien zu setzen. Das einzige Medium, von dem ein Kind lernt, ist der kompetente und begeisterungsfähige Lehrer, der sich nicht hinter Geräten oder Papier verbirgt, sondern in direktem gedanklichen Austausch unverstellt für alle Schüler sichtbar ist und zu ihnen spricht ...

Einen interessanten Beitrag zum Smartphone habe ich im Lehrerfreund gefunden.

Übrigens: Das Handy ist ein nützliches Gerät. Dennoch sollte man es in öffentlichen Räumen nur zögerlich benutzen. Es berührt mich bis heute peinlich, wenn in meiner Anwesenheit Menschen laut sprechen, aber nicht mit mir, sondern mit einem unsichtbaren Dritten.

Karin Pfeiffer




* Heinz Buddemeier. Von der Keilschrift zum Cyberspace. Der Mensch und seine Medien.
Verlag Urachhaus 2001
 

 



Kommentare zu diesem Beitrag:
von pfiffikus (13. Juni 2012, 10:16):
Guten Tag,

zu dem Beitrag fällt mir Folgendes ein:

Schulen können verbindlich regeln, dass im Unterricht keine Handys benutzt werden dürfen.

Es wird immer wieder beklagt, dass die heutige Schülergeneration durch die Schule so stark gefordert sei. Zunächst liegt es m.E. auch daran, dass viele SchülerInnen schlicht und ergreifend die falsche Schule besuchen (freier Elternwille!). Jeder muss heutzutage ja Abitur machen!
Aber wieviel Zeit wird eigentlich durch die permanente Handyspielerei vergeudet? Gibt es hier nicht evtl. eine Kausalität mit der scheinbaren schulischen Überforderung?

Nach Schulschluss sehe ich fast nur SchülerInnen Musik hörend und mit dem Handy spielend auf ihrem Fahrrad i.d.R. auf der falschen Straßenseite nach Hause fahren.
Von den Ordnungshütern wird dieses Fehlverhalten stillschweigend hingenommen.
Hat die Polizei womöglich schon resigniert?

In einer Arztpraxis nimmt eine Person plötzlich ihr Handy, wählt eine Nummer (es handelt sich dabei offensichtlich um die Tochter, die vor dem Gebäude im Auto wartet)und beginnt, sich lautstark mit ihr zu unterhalten. Ich bitte sie höflich, doch bitte nach draußen zu gehen. Sie wirft mir einen bitterbösen Blick zu, beendet aber kurz danach das Gespräch.

Können wir von den Heranwachsenden eigentlich noch respektvolles Verhalten erwarten, wenn vielen Erwachsenen möglicherweise der Benimm-Kompass fehlt?

Es grüßt
pfiffikus
 
von pfiffikus (13. Juni 2012, 10:20):
Eine kleine Korrektur: "von den Heranwachsenen"
Wat mut, dat mut, lach.
 
von pfiffikus (14. Juni 2012, 11:02):
Noch eine inhaltliche Ergänzung:

Unumwunden gebe ich zu: Den neuen Medien stehe ich sehr kritisch gegenüber. Dabei verkenne ich nicht ihre Vorteile. Es ist wie mit dem Fernsehen. Verantwortlich genutzt (Dauer und Auswahl der Programme) bildet es und erweitert unseren Horizont. Einen erkennbaren Nutzen der Handys für die junge Generation erschließt sich mir aber (noch) nicht. Es frisst Zeit, und da sich beim Schreiben mit dem Handy an keine sprachlichen Regeln gehalten werden muss, geht die Kompetenz des korrekten Schreibens so langsam verloren. Fast niemanden stört es, dass auf Facebook, in den Foren oder beim Twittern viele User wild drauflos posten. Auch vor Lehrerportalen macht diese Entwicklung offensichtlich nicht halt. Ja, ich gewinne immer mehr den Eindruck, dass "lässiges" Schreiben und das bewusste Ignorieren von Schreibkonventionen inzwischen so etwas wie "Kult" ist.
Für unser über lange Zeit gewachsenes Kulturgut Sprache bedeutet diese Entwicklung doch nichts Gutes.Wir sollten den Schreib-"Vandalen" nicht das Feld überlassen!

Es grüßt
pfiffikus
 
von S. K. (14. Juni 2012, 12:16):
@pfiffikus
Ja, schlampiges Schreiben ist Kult. Als ein Freund neulich mitkriegte, dass ich bei einer SMS noch groß und klein schrieb, hat er sich über mich amüsiert und fand das antiquiert. Wer auf sich hält, schreibt alles klein und fügt möglichst viele Comic-Elemente ein.
Lehrer sollten dies mal zum Unterrichtsthema machen.
 
von Karin Pfeiffer (14. Juni 2012, 15:42):
Die Entwicklung wird nicht aufzuhalten sein, denn sie hat etwas Zwingendes. Wo ein Ziel mit Hilfe bequemer und zeitsparender Abkürzungen erreicht werden kann, da werden alle Verbotstafeln überrannt. Verzögern oder unterbinden kann man die Entwicklung nur durch Errichtung von Hürden. Eine solche Hürde wäre die Verteuerung des Telefonierens. Darauf aber werden wir vergeblich warten aus Gründen, die ich hier sicher nicht näher zu erörtern brauche.
Ja, auch ich befürchte, daß das Kulturgut Sprache in Gefahr ist - möglicherweise werden die Kulturtechniken in Zukunft nur noch von einer elitären Minderheit beherrscht.
Die eigentliche Gefahr der Medien besteht darin, daß ihre gewohnheitsmäßige Nutzung zu einer Veränderung im Wahrnehmen, Fühlen und Denken des Menschen führen wird. Der Mediennutzer wird gefühlsärmer und in seinem Handeln einem Automaten ähnlich. Mensch paßt sich der Maschine an. Keine angenehme Vorstellung.
 
von pfiffikus (22. Juni 2012, 17:20):
Fast 20 % der 15-Jährigen können nach dem heute in Berlin vorgestellten Bildungsbericht nicht richtig lesen und Texte nicht richtig verstehen.
Persönlich - und da knüpfe ich an das Tagebuchthema an - können bestimmt ebenso viele SchülerInnen nicht richtig schreiben.
Da fühle ich mich ja in meiner Diagnose voll bestätigt.
Wie kann es aber sein, dass SchülerInnen in der heutigen Zeit, in der ja so viel geholfen und gefördert wird, durch die Maschen schlüpfen?
Liegt es an den Lehrkräften? Liegt es an falschen Methoden? Liegt es am Einfluss der neuen Kommunikationsmittel? Oder kommt alles zusammen?
Ich kenne noch die Zeit der Volksschule, die in der BR Deutschland bis Mitte der 60er Jahre flächendeckend existierte. Dort gab es interessanterweise kaum jemanden, der nach ACHT Jahren Schule nicht lesen und schreiben konnte. Allein dieser Tatbestand sollte doch sehr nachdenklich stimmen!

 
von Ursula Prasuhn (23. Juni 2012, 21:28):
Oh ja, pfiffikus, diese Zeiten gab es. Und in den 60er Jahren waren die Schülerleistungen in Deutschland noch Weltspitze. Das wird allerdings nie erwähnt.
Mit den ständigen Reformen ab den 70er Jahren – angestoßen vom Gedankengut der sog. 68er – ging es bis heute ständig bergab. Vermutlich wird es auch so weitergehen, denn im Moment hält das "inklusive Lernen" oder die "Einheitsschule" überall Einzug. Das wird dem Elend noch mal einen kräftigen Schub verleihen.
Ich denke, die leichtfertige Zerschlagung von Traditionen bzw. bewährtem Erfahrungswissen in Bildung und Erziehung – sowohl im Elternhaus als auch in der Schule – ist ein ganz wesentlicher Grund für die Leistungsschwächen unseres Nachwuchses. Und nicht nur dafür. Für mindestens ebenso schlimm halte ich die zunehmenden psychischen Probleme der Kinder, die zum großen Teil auf mangelnder Selbstdisziplin beruhen. Viele Kinder haben sich nicht mehr im Griff und tun spontan das, wonach ihnen der Sinn steht. Was Mühe bereitet, trifft sehr schnell auf inneren Widerstand, denn sie haben kaum mehr gelernt, ihn zu überwinden.
Die vielen Jahre der sog. „Spaßpädagogik“ mit ihrer Verteufelung von Leistungsansprüchen haben dieser Fehlentwicklung zusätzlichen Rückenwind verliehen, weil die Reformen in der Methodik den „Spaßfaktor“ in den Mittelpunkt des Unterrichts stellten und dabei nicht wahrhaben wollten, dass große Teile des Lernstoffs nur mit erheblichen Abstrichen zu vermitteln sind, wenn es reineweg nach Lust und Laune geht. Vieles ist im Gegenteil auf Fleiß und Anstrengungsbereitschaft angewiesen, was den Schülern am Ende aber Erfolgserlebnisse beschert und tiefe Freude bereitet. Diese Freude stellt den flüchtigen Spaß bei weitem in den Schatten, weil er stolz macht auf sich selbst und das Selbstbewusstsein stärkt.
Wie gesagt, pfiffikus, so sehe ich das Problem der Leistungsschwächen - nicht nur im Lesen und Schreiben, sondern ganz allgemein bis hin zur geistig-seelischen Gesundheit der Kinder. Zu viel Verwöhnen und Erleichtern hilft nicht dem Nachwuchs, sondern denen, die sich mit dieser Methode beliebt machen wollen.
Um nun im wahrsten Sinne des Wortes Farbe zu bekennen, wage ich auch noch zu sagen, dass die Flut an falschen Reformen meiner Beobachtung nach zunächst von der SPD-Ideologie kam - also von "roter" Seite. Heute hat die "grüne" eher das Sagen und die "rote" links überholt. Die "schwarze" macht widerwillig mit, weil sie in dem angeblichen Wohl für die Kinder nicht als reformunfreudig dastehen will und darum - wie die anderen auch - mehr an das eigene Fortkommen als an das der Kinder denkt.
Die Bildungspolitik ist ein ideales Spielfeld für die Selbstdarstellung der politischen Kräfte. Was den Kindern nützt oder schadet, spielt kaum eine Rolle.
 
von Karin Pfeiffer (24. Juni 2012, 10:24):
Dazu ein Zitat:

„Film und Fernsehen (und die neuen Multimedia-Geräte – Einfügung durch die Kommentatorin) sind so etwas wie eine Antipädagogik … statt guter Gewohnheiten werden schlechte veranlagt, so zum Beispiel die Erwartung, ohne Anstrengung und Gegenleistung mit vielfältigen und vergnüglichen Eindrücken bedient zu werden.“ (Heinz Buddemeier. Von der Keilschrift zum Cyberspace. Seite 259)
Vergnügen – das ist das goldene Kalb unserer heutigen Weltanschauung, und die Kinder sind völlig unschuldig in dieses Arrangement hineingeworfen. Eben habe ich einen Katalog eines SÜDDEUTSCHEN (ich erwähne den Verlagssitz, um Mißverständnissen vorzubeugen) Lernhilfenverlags durchgeblättert, mit einer Mischung an Belustigung und Grauen. Man könnte eine Satire schreiben, denn da taucht man ein in eine unterhaltsame, fröhlich-anstrengungslose Erlebniswelt, in der das Verb „lernen“ in seiner ursprünglichen Bedeutung ausgedient hat. Dafür gibt es „kompetenzorientierten“ und „leistungsfairen“ Unterricht, bei welchem Rechtschreibregeln spielerisch „entdeckt“ werden; beim „umfassenden“ Lückenfüllen und „fächerübergreifenden“ Lösen von Kreuzworträtseln stellt sich ein „orthographisches Bewußtsein“ ein, und damit wird das Kind zum Rechtschreibprofi oder neuerdings zum Champion. Darunter geht nichts mehr. Bald ringen Grundschulkinder um die Weltmeisterschaften in Sachen Kompetenz und Strategie. Wo ist der Inhalt?

Statt dessen gibt es an den Schulen seltsame Herrscher und originelle Autoritäten: Rechtschreibkönige, Matheköniginnen, Zahlenkünstler, schnelle Rechenkünstler, fröhliche Rätselkinder, allesamt helle Köpfe. Und niemand bleibt zurück, das wissen wir ohnehin schon sehr lange.
Diese Wunderkinder an Kompetenz und Lernstrategie holen sich an den „Lerntheken“ die maßgeschneiderten Zusatzaufgaben, natürlich allesamt „spaßbetont“ und führen im "fairen Team" spielerische Übungen durch. Wie Münchhausen sich selbst aus dem Sumpf herauszieht, so steigert das lehrerlose und selbstbestimmte „Lernen“ angeblich die Lernmotivation beim Kind; ganz aus sich selbst heraus gelingt es ihm, ein Interesse an akademischen Fächern zu entwickeln, es ist schon ein wahres Wunder. Während sich die Könige und Königinnen, Profis und Champions dem selbstbestimmten Tun mit großer Freude hingeben, hat der Lehrer Zeit, um die Beobachtungsbögen auszufüllen – eine Entwicklung, die uns große Sorgen bereiten muß.
Die mit Ernst und Sinn betriebene Leistungspädagogik hat sich in eine – nur an der Oberfläche lustige, dem Wesen nach jedoch menschenverachtende Gesinnungspädagogik gewandelt. Die Kinder sollen sich selbst etwas beibringen und werden bei ihrem („fröhlichen“) Tun fortwährend beobachtet und in ihren kleinsten Reaktionen persönlich bewertet. Worum geht es da eigentlich? Was soll das sein? Pädagogik???
Man lese folgendes Buch, um zu verstehen, welche Gesinnung hinter solchem Treiben steckt: „Der Todestrieb in der Geschichte. Erscheinungsformen des Sozialismus.“ von Igor Schafarewitzsch (nur antiquarisch zu beziehen).

Unsere Kinder sind in der Schule einer psychisch belastenden Situation ausgeliefert: Botschaft und Wirklichkeit klaffen weit auseinander. Unter der Tünche der krampfhaft zelebrierten Fröhlichkeit spüren die meisten von ihnen die furchtbare Wahrheit: das Desinteresse an ihnen. Sie sind allenfalls Objekte einer sich selbst steuernden Industriegemeinschaft, instrumentalisiert durch Politik und Wirtschaft. Und es gibt kaum noch Lehrer, die es wagen, die Hand schützend über ihre Schüler zu halten. Selbst instrumentalisiert und zutiefst verunsichert halten sie sich lieber an die amtlichen Vorgaben und degradieren sich selbst zu Buchhaltern des Schulbetriebs. Vor den Evaluationen und Vergleichsarbeiten, die sich seit einigen Jahren eingebürgert haben, zittern sie mehr als ihre Schüler. Darüber vergessen sie ganz, was es bedeutet, Lehrer zu sein. Das ist die bittere Wahrheit.

An diesem Widerspruch und dem Gefühl der Hilf- und Nutzlosigkeit zerbrechen Menschen. Die gefühlvollen leiden (Selbstaufgabe, Krankheit, Burnout), die robusteren entwickeln Verhaltensstörungen (geistiger Rückzug, Egoismus, Aggressivität, Desinteresse, Verantwortungslosigkeit, fehlendes Mitgefühl ...).

Auch unter den Eltern sind viele nicht mehr in der Lage, selbstbewußt zu handeln. Gestern stand ich hinter einer Mutter mit einem Vierjährigen an der Supermarktkasse an. Der Junge riß sich von der Hand los, sauste zurück in den Ladenraum und holte eine Tüte Zuckerzeug. Am Regal hatte die Mutter dem Sohn noch ein striktes Nein zum Kauf erteilt. Der pfiffige Kerl nutzte die Zwangssituation an der Kasse, um die Mutter zu überlisten – er ahnte voraus, daß sie in diesem Moment eine offene Auseinandersetzung mit ihm scheuen würde. Ohne eine Geste oder ein Wort des Tadels zahlte sie die Süßigkeiten. Der Sohn nahm sie an sich und riß die Verpackung sofort auf. Diese Szene steht stellvertretend für viele.
Es gibt kein Vakuum – auch kein Machtvakuum. Hartnäckigkeit, Dreistigkeit, Rücksichtslosigkeit - sie sind physische Masse und gewinnen jeden Kampf gegen feine Sitten und Kultur. Erziehung im Sinne der abendländischen Ethik ist immer schon unbequem gewesen, und diese Erziehungs verlangt den Erwachsenen mehr ab als den Kindern. Auch Vorbild sein heißt verzichten müssen.

Multimedia ist ein bequemer, unterhaltsamer Zeitvertreib. Nehmen ohne zu geben! Tun ohne Verbindlichkeit! Wohlleben ohne Anstrengung. Also Verhältnisse, von denen schon der Urmensch träumte. Multimedia prägt das Verhalten der Kinder mehr noch als das der Erwachsenen. Körper- und anstrengungsloses Sein wird eingeübt, die Gemüts- und Geisteskraft geschwächt. Diese Entwicklung vollzieht sich so langsam, daß wir sie kaum wahrnehmen. Allenfalls ältere Generationen erkennen im Vergleich zu früher, auf welchem Weg sich die Gesellschaft befindet.

______________________________

Ich bitte um Entschuldigung für den langen Kommentar. Auch sollte nicht der Eindruck entstehen, daß nun alles vergeblich sei. Der Trend ist für den Einzelnen unumkehrbar. Dennoch: im eigenen Umkreis kann sich jeder Inseln schaffen, auf die man sich gelegentlich zurückziehen kann. Kinder spüren Skepsis, sie beobachten uns Erwachsene genau. Wenn wir uns vorbildlich verhalten, werden sie uns nachahmen - irgendwann. Vielleicht erst, wenn sie erwachsen sind.
 
von N. W. (24. Juni 2012, 17:31):
Meine Sorgen sind vielleicht etwas unverständlich. Es geht darum, dass wir unsere Kinder noch in einer Weise erziehen, die man heute als "streng" oder besser "konsequent" bezeichnen würde, was nicht immer ganz einfach ist. Wir sind aber fest überzeugt, dass es für sie das beste ist. In diesem Glauben bestärken mich die beiden letzten Kommentare und auch die Zufriedenheit unserer Kinder, was nicht heißen soll, dass sie nicht auch manchmal rumnöseln.
Aber manchmal überlege ich, wie sie später wohl zurechtkommen werden in einer Welt, in der sie allmählich zu "Außenseitern" werden könnten, weil sie Pflicht- oder Rechtsbewusstsein gelernt haben und auch Fleiß. Könnte es dann nicht von Nachteil sein, wenn sie als "Spaßbremsen" oder "Streber" gelten und von anderen behackt werden, weil sie anders sind als die stark zunehmende Minderheit, die allmählich zur Mehrheit wird.
Ich weiß, dass sich meine Gedanken komisch anhören, aber sie beschäftigen mich.
 
von pfiffikus (24. Juni 2012, 17:56):
Guten Tag Frau Prasuhn,

im Zusammenhang mit Ihrem Hinweis auf die 68er möchte ich auf einen Meinungsaustausch hinweisen, der unter der Überschrift "Eine kleine, grundsätzliche Diskussion" bei www.lehrerforum-niedersachsen.de stattfand. Gehen Sie bitte auf "Aktuelle Diskussionen" und dann auf "Schul- und Bildungspolitik".
Besonders interessant wird es mit den Beiträgen von "Helene", die sich mit der Anfang der 60er Jahre ideologisch ausgerichteten Bildungspolitik in der BR Deutschland beschäftigt. Dabei misst sie Wolfgang Klafki eine Schlüsselrolle zu. Seine kritisch-konstruktive Didaktik meint zuerst plolitische Bildung und keine Fachbildung. Er spricht von Primärtugenden wie Selbst- und Mitbestimmung. Lesen, Schreiben Rechnen, Fleiß Ordnung, Pünktlichkeit, Konzentrationsfähigkeit, Anstrengungsbereitschaft usw. zählt er zu den nachgeordneten Tugenden. Nach Helene orientieren sich gerade die SPD-regierten Länder weitesgehend an der Klafki-Ideologie.

Soweit ich informiert bin, reagieren die Kultusminister mit der schulischen Inklusion auf einen Beschluss der UN- Behindertenkonvention von 2006.
Die Idee, Behinderte so früh wie möglich in unsere Gesellschaft zu integrieren, halte
ich zunächst einmal für lobenswert. Warum werden sich Ihrer Meinung nach die Schülerleistungen durch die Inklusion noch weiter verschlechtern?
Es gibt ja Schulen, die durchaus schon länger zufrieden mit intergrativen Klassen arbeiten.
In der Realschule "Auf der Heese" in Celle scheint es z.B. gut zu klappen. Sie konnte ihr Konzept auf der letzten Didakta in Hannover präsentieren. Googeln Sie bitte RS "Auf der Heese", und Sie können sich dann das Integrationskonzept durchlesen.

Herzliche Grüße
pfiffikus
 
von Ursula Prasuhn (24. Juni 2012, 20:45):
Liebe(r) pfiffikus,

Ja, die Kultusminister reagieren auf den Beschluss dieser UN-Konvention und betonen das auch immer wieder.
Vor einigen Jahren noch wären die UNO, die UNESCO und auch die OECD für mich vertrauenswürdige Instanzen gewesen, was sich aber gründlich gewandelt hat durch genaueres Hingucken. Das auszuführen würde hier aber den Rahmen sprengen.
Die Idee, Behinderte so früh wie möglich in unsere Gesellschaft zu integrieren, ist auf den ersten Blick sicher ebenso lobenswert wie alles andere, was aus gutmenschlichem Munde kommt. Da gibt es kaum etwas zu bemängeln. Entscheidend ist aber immer die Praxis und deren Folgen. Und da bin ich äußerst skeptisch.
Zunächst einmal stellt für mich die äußere Zusammenführung unterschiedlichster Kinder in einem Klassenraum noch lange keine Integration dar, sondern vorerst nur ein Aushängeschild. Echte Integration findet im Inneren statt im Miteinander-Lernen und Miteinander-Umgehen zum Wohle und zur Bereicherung aller. So verspricht es die Inklusion. Und dies kann ich mir nicht vorstellen, weil die Vielfalt mit dem entsprechenden Spannungsbogen einfach zu groß ist und zu Lärm, Chaos und entsprechender Lernbehinderung aller führen muss.
Die Verfechter des Inklusionsgedankens fordern zwar immer „Vielfalt als Chance begreifen!“, doch mehr als ein frommer Spruch, über den die Lehrer als Praktiker wahrscheinlich nur den Kopf schütteln, ist das nicht.
Vielleicht lesen Sie mal diesen Artikel mit dem Kommentar (Erlebnisbericht) eines Praktikers, der sich „SoPäd“ nennt. Dann wissen Sie, was Inklusion im Alltag bedeutet und nicht nur in der schöngefärbten Theorie.

Förderschulen "Lernen" ganz abschaffen - bildungsklick.de
 
von Karin Pfeiffer (24. Juni 2012, 21:00):
Liebe Frau Prasuhn,
der Vergleich mit dem Sport hilft, das von Ihnen richtig Erkannte und Gesagte zu verbildlichen.
In jeder Sportdisziplin gibt es eine Gliederung nach Geschlecht und Altersstufen. Noch nie ist meines Erachtens diese Praxis als ungerecht hingestellt worden!
Man stelle sich vor, in einem Wettbewerb müßten alle Teilnehmer ohne die vorgenannte Differenzierung gegeneinander antreten. Gewisse Gruppen hätten von vornherein nie eine Chance ... und verlören Freude und Interesse am Sport.

Jedem das Seine heißt nicht jedem Dasselbe.

Ich befürchte, die sogenannte "Inklusion" ist nichts anderes als eine Sparmaßnahme ...
 
von pfiffikus (25. Juni 2012, 10:27):
Guten Morgen Frau Prasuhn,

ich bin Ihrer Anregung gefolgt und habe mir den empfohlenen Erlebnisbericht von SoPäd und auch alle anderen Beiträge durchgelesen. Die dort geschildeten Zustände machen mich ja geradezu fassungslos. Ich kann einfach nicht glauben, dass es so chaotisch in allen Inklusionsklassen zugeht.
Ich habe mir eben gerade noch einmal das Inklusionskonzept der Realschule "Auf der Heese" in Celle durchgelesen
(www.realschule-heese.de). Dort gibt es drei Inklusionsklassen mit jeweils ca. 20 SchülerInnen. Drei davon haben sonderpädagogischen Förderbedarf. In den Klassen arbeiten immer zwei Lehrkräfte, eine davon ist Sonderpädagogin/Sonderpädagoge. Dann gibt es noch weitere Unterstützer.
Ich kenne das Modell nicht aus eigener Anschauung und bin jetzt auch kein Inklusionsexperte. Deshalb vermag ich nicht zu sagen, ob es dort funktioniert. Zumindest scheint mir das Zahlenverhältnis schon einmal zu stimmen.In Niedersachsen wird wohl auch betont, dass nicht jedes behinderte Kind in eine Integrationsklasse kommen kann. Es wird dort also auch immer noch spezifische Einrichtungen für diese Kinder geben. An der besagten Realschule irritiert mich allerdings, dass dort viel mit offenen Unterrichtsformen gearbeitet wird. Unabhängig davon, dass ich diese Formen auch in "normalen" Klassen sehr kritisch sehe, brauchen doch Kinder mit Handicaps eine besondere Ansprache und Führung. Aber ich kann letztlich nicht beurteilen, ob das Konzept dort klappt.
Sehr zu bedauern ist das offensichtliche Desinteresse vieler Medien an diesen Themen. Ich vermisse auch die kritischen Stimmen der Lehrerverbände. Ja, ich habe sogar den Eindruck, dass die GEW und der VBE die Pläne der Landesregierung in NRW durchaus unterstützen, obwohl sie doch wissen müssten, was den Lehrkräften damit zugemutet wird.
Frau Prasuhn, in diesem Tread geht es ja eigentlich um die neuen Kommunikationsmittel. Mittlerweile sind wir bei der Inklusion gelandet. Das wäre aus meinert Sicht ein ganz neues Thema. Auch die möglichen Folgen der 68er Politik auf unsere heutige Schullandschaft stellt für mich ein eigenen Thema dar. Haben Sie Gelegenheit gehabt, die Debatte in dem genannten Lehrerforum zu lesen?

Herzliche Grüße
pfiffikus
 
von Ursula Prasuhn (25. Juni 2012, 15:27):
Hallo, liebe(r) pfiffikus,
ja, ich habe die Debatte in dem Lehrerforum gelesen – jedenfalls zum größten Teil - und kann der klugen Helene nur zustimmen, während mich „Hölle“s Geisteshaltung (68er) aufregt.
Ich erinnere mich selbst noch an Klafki und seine Anbetung der Primärtugend „soziale Kompetenz“, die immer proklamiert, aber in den von der SPD regierten Ländern nie erreicht wurde. Jedenfalls war sie nicht messbar. Nie konnte ein sozialeres Verhalten dieser Schüler im Vergleich zu anderen festgestellt werden. Im Gegenteil. Die angestrebten Primärtugenden erwiesen sich als heiße Luft. Und für diese Luftnummer wurden die wirklich wichtigen Tugenden (damals genannt „Sekundärtugenden“) jahrzehntelang so verhöhnt und sträflich vernachlässigt, dass wir bis heute den Salat haben und viel zu viele Schüler Jahr für Jahr die Schule verlassen, ohne halbwegs lesen, schreiben und rechnen gelernt zu haben. Und auch die übrigen könnten es wahrscheinlich noch besser, wenn sie nicht aus ideologischen Gründen vom richtigen und gründlichen Lernen (bei einem Lehrer, der noch Autorität besitzen darf) abgehalten worden wären.
Zur ebenfalls weltanschaulich begründeten Inklusion möchte ich noch sagen, dass sie meiner Meinung nach eine ähnliche Luftnummer darstellt wie die „soziale Kompetenz“. Und das bei Schulen, deren Leistungsniveau heute sowieso schon erheblich niedriger ist als vor 40 Jahren. Da können Sie sich ausrechnen, was in einigen Jahrzehnten als Ergebnis rauskommen wird.
Mich ärgern diese Experimente „am lebenden Objekt“ maßlos. Hätten die Erfinder der ach so wohlklingenden Methoden und Worthülsen die Folgen selbst auszubaden, wär’s mir ja egal, aber nein, sie sitzen immer im Trockenen und die Leidtragenden ihrer Spinnereien sind vor allem die Kinder und deren Eltern, aber auch die Lehrer.
Das Konzept der Realschule „Auf der Heese“ habe ich mir noch nicht angeschaut. Aus meiner Erinnerung an die Einführung der Gesamtschulen weiß ich aber, dass solche „Vorzeigeschulen“ nicht repräsentativ sind. Sowohl an äußerlicher Ausstattung als auch Klassengröße und Personalausstattung sind sie so großzügig und werbewirksam ausgestattet, dass es eher ein Ärgernis ist, sie anzuschauen, weil sie ein falsches Bild malen und dies auch sollen für einen positiven Eindruck in den Medien und der Öffentlichkeit. Hier wird dann „bewiesen“, dass es in der Praxis doch gut läuft.
Ich sage mal etwas, das Ketzerisch klingt, aber meine volle Überzeugung ist: Je mehr Geld es braucht, um Kindern eine gute Bildung zu vermitteln, desto schlechter sind in der Regel Konzepte. Die „Inklusion“ wird meiner Meinung nach Unsummen kosten, obwohl ich Frau Pfeiffer ausdrücklich zustimme in ihrer Vermutung, dass auch erhoffte Sparmaßnahmen hinter dem Ganzen stecken. Ich bezweifle jedoch, dass die Rechnung aufgehen wird.
Zur GEW kann ich nur sagen, dass ich ihr mehr als kritisch gegenüberstehe. Zur Praxis hat sie längst den Faden verloren. Sie ist ein reiner Gesinnungsverein und kämpft mit allen Mitteln für die Einheitsschule.
Dagegen schätze ich den Deutschen Lehrerverband, insbesondere seinen Präsidenten Josef Kraus, der mir immer wieder aus dem Herzen spricht.
Ich grüße Sie nun ebenfalls herzlich, pfiffikus,
Ursula Prasuhn
 

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